Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)
verwünschten Nebel, der ihn sonst von allem trennte.
Er senkte die Arme, legte eine Hand auf die Stuhllehne und fühlte den weichen Samt. Er roch den Rauch des Kaminfeuers, den Regen, der draußen herniederströmte und durch die teilweise offenen Fenster hereintropfte.
Seine Sinne waren von der Flut der Eindrücke so überwältigt, dass er beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. Und selbst diese Empfindung war eine ungeheure Freude.
Er lachte, laut und dröhnend. Spürte, wie das Lachen aus seinem Bauch nach oben stieg und explodierte. Die Hände zu Fäusten geballt, hob er die Arme erneut.
»Ich bin.«
Noch während er sich seine Existenz bestätigte und die Wände vom Klang seiner Stimme widerhallten, hörte er das Klopfen an der Tür. Überrascht senkte er die Arme und drehte sich zögernd in Richtung jenes Geräusches um, das er seit fünfhundert Jahren nicht mehr vernommen hatte. Dann ertönte der Klang einer Stimme.
»Bitte.« Und es war seine Traumgestalt, die da rief. »Oh, bitte, lassen Sie mich ein.«
Ein gemeiner Streich, dachte er. Aber warum sollte man ihn ausgerechnet jetzt mit Streichen quälen? Er würde das nicht dulden. Nicht jetzt. Nicht während seiner Woche als fühlendes Wesen.
Er schleuderte die Hand nach vorn, sandte flammende Lichtblitze aus. Wütend schritt er aus dem Raum, dann
weiter den Gang entlang und die gewundene Treppe hinunter. Es war ihnen nicht gestattet, in seine Woche einzugreifen. Das verstieß gegen die Regeln. Er war nicht willens, auch nur eine Stunde seiner wenigen Zeit zu verlieren.
Der lange Weg machte ihn ungeduldig. Er flüsterte einen Zauberspruch. Und stand unten, in der großen Halle.
Herrisch stieß er die Tür auf. Sah in dem zornigen Toben des Unwetters seinen eigenen Zorn widergespiegelt.
Und sah sie.
Gebannt starrte er sie an. Sein Atem stockte. Und seine Gedanken. Sein Herz.
Sie war gekommen.
Sie sah ihn an. Ein Lächeln zitterte auf ihren Lippen und ließ das Grübchen an ihrem Mundwinkel zucken.
»Da sind Sie ja endlich«, sagte sie.
Und sank ohnmächtig zu seinen Füßen nieder.
Zwei
Schatten und Umrisse. Wispernde und murmelnde Stimmen. Sie wirbelten durch ihren Kopf, mal lauter, mal leiser werdend.
Selbst als sie die Augen öffnete, waren sie da. Kreisend, rotierend. Was ist passiert?, war ihr einziger Gedanke. Was ist passiert?
Sie fror und war durchnässt und jeder einzelne Teil ihres Körpers tat ihr weh. Natürlich, ein Unfall. Aber …
Was ist passiert?
Sie konzentrierte sich und sah oben, weit oben, eine geschwungene Decke mit aus Stuck geformten Feengestalten, die zwischen Blumenbändern tanzten. Eigenartig, dachte sie. Eigenartig und schön. Benommen hob sie die Hand an die Stirn, spürte die Feuchtigkeit. In der Annahme, es sei Blut, stieß sie einen kleinen Schrei aus und versuchte, sich aufzusetzen.
Vor ihren Augen drehte sich alles, wie auf einem Karussell.
»Uh-oh.« Zitternd beäugte sie ihre Finger, entdeckte aber nur klares Regenwasser.
Und als sie den Kopf drehte, entdeckte sie ihn.
Zuerst kam der Schock, der mit brutaler Hand ihr Herz zusammenpresste. Sie spürte, wie die Panik in ihr hochstieg, und kämpfte mit aller Kraft dagegen an.
Er starrte sie an. Unverschämt, sollte sie später denken, als die Angst der Verärgerung gewichen war. In seinen Augen – Augen, so grün wie die regennassen Hügel Irlands – stand Zorn. Er war ganz in Schwarz gekleidet. Vielleicht sah er deshalb so gefährlich aus.
Sein Gesicht war von grausamer Schönheit – »grausam« war das Wort, das auch weiterhin in ihr nachhallte. Ausgeprägte Wangenknochen, scharf geschwungene schwarze Brauen, ein finster gekrümmter Mund, der etwas Brutales an sich hatte. Sein Haar war so schwarz wie seine Kleidung und fiel ihm in wilden Wellen fast bis auf die Schultern.
Ihr Herz pochte heftig, warnte sie. Obgleich sie zurückwich, fand sie den Mut zu sprechen. »Verzeihung. Was ist passiert?«
Er sagte nichts. War außerstande gewesen zu sprechen, seit er sie hochgehoben hatte. Ein heimtückischer Streich? Eine neue Folter? War sie nur ein Traum in einem Traum?
Aber er hatte sie gespürt. Die kalte Feuchtigkeit ihrer Haut, ihr Gewicht, ihren Körper. Und er nahm ihre Stimme ebenso deutlich wahr wie die Angst in ihren Augen.
Warum sollte sie Angst haben? Warum sollte sie sich fürchten, wo sie ihn doch bis ins Mark erschüttert hatte? Was fünfhundert Jahre Einsamkeit nicht geschafft hatten, war dieser Frau mit einem einzigen Blick
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