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Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)

Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition)

Titel: Im Licht der Träume: Drei Romane in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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Eindruck erweckte, als würde ihn eine zornige Gottheit aus dem Himmel schleudern. Er tauchte die Dunkelheit in blendendes Licht.
    Als sie den Arm hob, um ihre Augen abzuschirmen, sah sie mitten auf der Straße einen Hirsch stehen, majestätisch und würdevoll. Sein Fell war im gebündelten Lichtstrahl ihrer Scheinwerfer von grellem Weiß, sein Geweih glänzte silbern. Mit seinen goldenen Augen begegnete er gelassen ihrem erschrockenen Blick.
    Sie riss das Steuer herum, trat auf die Bremse. Der kleine Wagen geriet ins Schleudern, schien sich, vom spiralig wirbelnden Nebel angetrieben, in Schwindel erregenden Kreisen zu drehen. Sie hörte einen Schrei – es musste ihr eigener sein –, ehe der Wagen mit voller Wucht gegen einen Baum krachte.
    Und so träumte sie.
    Träumte davon, durch den Wald zu rennen, während der Regen wie mit wütenden Fingern auf sie eindrosch. Augen, tausende von Augen, beobachteten sie aus der Dunkelheit. Sie floh, rutschte auf dem morastigen Boden aus und fiel hart hin.
    Ihr Kopf war ganz von Klängen erfüllt. Das Tosen des Sturms, das dumpfe, warnende Grollen des Donners. Und darunter tausend singende Stimmen.
    Sie weinte und wusste nicht, warum. Es war nicht die Angst, sondern etwas anderes, etwas, das aus ihrem Herzen herausgezogen werden wollte wie ein Splitter aus einem schmerzenden Finger. Sie erinnerte sich an nichts, an keinen Namen oder Ort – nur daran, dass sie
ihren Weg finden musste. Ihn finden musste, bevor es zu spät war.
    Da war das Licht, eine Kugel aus Licht, die in der Dunkelheit glühte. Sie lief darauf zu, keuchend und nach Atem ringend. Regen strömte von ihrem Haar über ihr Gesicht.
    Der Boden weichte ihre Schuhe auf. Erneut fiel sie hin und zerriss ihren Pullover. Sie spürte ein Brennen auf der Haut und rappelte sich wieder hoch. Mit schmerzenden Gliedern und außer Atem humpelte sie weiter.
    Sie konzentrierte sich ganz auf das Licht. Wenn sie es bis zum Licht schaffen würde, dann wäre alles wieder in Ordnung. Irgendwie.
    Plötzlich schlug in nächster Nähe ein Blitz ein, so nah, dass sie sein versengendes Vibrieren in der Luft spürte und seinen beizenden Atem roch. Und im Nachhall seines grellen Scheins konnte sie erkennen, dass das Licht ein einzelner Strahl war, der aus dem Turmfenster einer Burg kam.
    Natürlich gab es hier eine Burg. Es schien völlig normal zu sein, dass es hier eine Burg gab, aus deren Turmfenster bei dem tobenden Gewitter mitten im Wald ein Licht herausleuchtete.
    Ihr Weinen schlug in Gelächter um, so wild wie diese Nacht, während sie, durch einen Blütenteppich watend, auf die Burg zutaumelte.
    Sie fiel gegen die massive Tür und schlug mit letzter Kraft dagegen.
    Das Geräusch wurde vom Sturm verschluckt.
    »Bitte«, murmelte sie. »Oh, bitte, lassen Sie mich ein.«
Er war neben dem Feuer in einen Dämmerschlaf gefallen, der einzige Schlaf, der ihm erlaubt war. Hatte sich von den züngelnden Flammen in den Traum wiegen lassen – einen Traum von seiner schwarzhaarigen Maid, die zu ihm kam. Doch ihre Augen waren voller Angst und ihre Wangen bleich wie Eis.
    Er schlief trotz des Unwetters und trotz der Erinnerungen, die ihn sogar an diesem abgeschiedenen Ort häufig heimsuchten. Aber jedesmal, wenn sie in jenen Träumen zu ihm gekommen war und ihn mit diesem Blick angesehen hatte, war er wach geworden. Mit ihrem Namen auf den Lippen.
    Und während er nun ruckartig erwachte, entglitt ihm der Name wieder aus dem Gedächtnis. Das Feuer war inzwischen bis auf die Glut heruntergebrannt. Mit einem einzigen Gedanken hätte er es wieder zu tobendem Leben erwecken können, spürte aber kein Verlangen danach.
    Wie auch immer, er war genau zum richtigen Zeitpunkt erwacht. Die zierliche Kristalluhr auf dem antiken Kaminsims  – er fand solche Gegensätze amüsant – zeigte an, dass nur noch wenige Sekunden bis Mitternacht fehlten.
    Schlag Mitternacht würde seine Woche beginnen. Sieben Tage und sieben Nächte lang würde er sein. Nicht als ein Schatten in einer Welt der Träume, sondern als Wesen von Fleisch und Blut.
    Er hob die Arme, warf den Kopf zurück und wartete auf seine Menschwerdung.
    Die Welt erbebte, die Uhr schlug Mitternacht.
    Da war Schmerz. Er hieß ihn wie eine Geliebte willkommen. O Gott, zu fühlen. Kälte stach mit Nadeln in seine
Haut. Hitze versengte sie. Seine Kehle öffnete sich, und dann das segensreiche Gefühl von Durst.
    Er schlug die Augen auf. Farben sprangen ihn an, klar und wahrhaftig, ohne diesen

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