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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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Turmes.
    Aus der Ferne hatte der Turm schmal ausgesehen, doch in Wahrheit durchmaß jedes Geschoss dreißig Schritt, und es gab nur einen einzigen großen Raum darin. Eine Treppe führte in weiten Schwüngen noch höher hinauf. Der Turm hatte viele mannshohe Öffnungen, durch die kalt der Wind hereinblies und einen Hauch von Reif über die Kristallwände malte. Draußen sahen sie das Dach der Zitadelle, wenige Schritt unter ihnen, ein Meer von wogenden Halbkuppeln mit Wegen dazwischen, die zu Durchgängen in den äußeren Türmen führten.
    Von Westen stach klares Sonnenlicht herein, doch es konnte das kranke Rot des Styx nicht auslöschen, der groß und schwer vor den nach Norden weisenden Fenstern schwebte und in den Turm hineinzudrängen schien. Swetja wurde von Übelkeit übermannt, und sie musste sich auf Anisja stützen.
    »Es ist das Licht«, murmelte sie. »Da treibt etwas im Licht.«
    »Eh, mondsüchtig«, sagte Mart. »Hab ich ja gesagt.« Dennoch schaute er sich beunruhigt um und kratzte sich, wo der Schein des Styx über seine Haut strich.
    »Vielleicht bleibt se besser hier, die kleine Musche«, schlug Tori vor. »Sonst kippt se uns noch weg, bis wir oben sind, hm?«
    »Nein«, sagte Borija. »Wir bleiben alle zusammen.«
    Sie stiegen weiter die Treppe hinauf. Swetjas Knie gaben nach, wenn sie nur daran dachte, wie hoch der Turm sein musste. Sie stützte sich auf Anisja. Doch obwohl das Licht des Styx auf ihr lastete und sich unrein anfühlte, war es doch weniger beunruhigend als das, was sie vorher in den Fluren der Zitadelle wahrgenommen hatte. Das Licht war unrein, aber nicht so lebendig wie die Schatten, die nach Anisja gegriffen hatten.
    Sie durchmaßen ein leeres Stockwerk nach dem anderen.
    »Man merkt’s«, stieß Mart hervor, »dass hier oben die Luft dünner ist.«
    »Man merkt’s«, antwortete Tori nicht minder atemlos, »dass de deine besten Tage hinter dir hast.«
    Schweigend stapften sie weiter. Swetja hatte keinen Atem zum Reden, und über sich fühlte sie etwas, vor dem sie am liebsten schreiend davongelaufen wäre. Sie hörte Stimmen!
    »Hauptmann Borija«, wisperte sie. »Ich hoffe, Ihr wisst …«
    »Still«, raunte Mart. »Da sind Stimmen über uns.«
    Am Fuß der nächsten Treppe hielten sie inne und lauschten. Die Stimmen traten deutlicher hervor, kein geisterhaftes Raunen mehr, sondern ein richtiges Gespräch im Stockwerk über ihnen. Obwohl sie nun zum ersten Mal auf die Bewohner der Zitadelle stießen, fühlte Swetja sich erleichtert, einfach nur, weil es nach Menschen klang.
    »Na, üppig«, murmelte Mart. »Wusst ich’s doch. Natürlich sind sie alle dort versammelt, wo wir hinwollen. Und es sind verdammt viele.«
    »Und sie kommen runter, du!«, fügte Tori hinzu.
    Sie sahen einander an. Jetzt konnten sie alle hören, wie die Stimmen lauter wurden. Schritte kamen auf sie zu.
    »Rasch. Dahin«, flüsterte Borija. Er zeigte auf eine Nische hinter der Treppe, wo sie unter den Stufen Zuflucht suchen konnten. Hastig huschten sie dorthin. Mart und Tori warteten auf die beiden Mädchen und schoben sie hinter sich. Sie selbst stellten sich ganz nach vorn und spähten um die Treppe herum. Mart hatte noch immer sein Schwert in der Hand. Es klirrte kurz über die Mauer, und Borija räusperte sich warnend.
    »’ne ganze Kompanie«, flüsterte Mart.
    Die Schritte trampelten die Treppe herab. Die sechs drückten sich tiefer in ihren Winkel. Wortfetzen drangen an ihr Ohr.
    »Das ist doch …«, zischte Tori. Sie schob den Kopf weiter vor. »Gontas!« Sie brüllte das Wort wie einen Schlachtruf. Schon stürmte sie vor. Sie holte mit der Sichel aus und zog im Laufen mit der Linken ihren langen Dolch.
    »Tori!«, rief Mart. Kein Schlachtruf, sondern ein Fluch, aber er sprang hinter seiner Gefährtin her. Swetja wagte einen Blick aus ihrem Versteck.
    Fast dreißig Leute standen dicht gedrängt in dem Raum. Mart und Tori konnten ihnen in den Rücken fallen, dennoch war der Kampf gegen eine solche Übermacht aussichtslos.
    Auf den zweiten Blick allerdings sah Swetja, dass es zwei Gruppen unter den Fremden gab. An die zwanzig hagere, blasse Gestalten mit grauem Bart und in schäbigem Kittel umringten eine kleinere Schar dunkler Südländer. Swetja erkannte Rüstungen aus Leder und Eisenholz, aber keine Waffen – die Südländer waren Gefangene! Die Graubärte trieben sie mit langen spitzen Stäben vor sich her.
    Der letzte Graubart drehte sich halb um, da steckte ihm schon Toris Sichel im

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