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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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aus dem Raum darüber hereinfiel, aber das Licht blieb schwach und trügerisch. Gontas konnte die Entfernungen nicht abschätzen. Sein eigener Schatten huschte an den seltsamsten Stellen an ihm vorüber, bis er nicht mehr wusste, ob er sein Spiegelbild sah, seinen Schatten – oder ob die Dämonen des Hexenmeisters den Schacht emporkamen und ihm das Geleit gaben auf seinem Weg hinab in den Abgrund.
    Er hangelte sich an dem Lederseil hinab, eine Hand unter die andere setzend. Kettenglieder klirrten neben ihm, ein beruhigender Laut, der ihm immerhin versicherte, dass er noch an einem wirklichen Ort war und nicht entrückt. Die Finger taten ihm weh, der durchbohrte Oberarm war steif und gehorchte nur widerstrebend seinem Willen. Gontas biss die Zähne zusammen und rutschte weiter abwärts. Er versuchte, nicht daran zu denken, was unten auf ihn warten mochte. Er musste einfach durchhalten, bis er einen sicheren Ausstieg fand.
    Die Stabklinge, die er sich auf den Rücken gebunden hatte, schlug gegen die glasharte Wand, und der Laut hallte hell durch den Schacht. Gontas hielt den Atem an, aber nichts geschah, nicht einmal ein Echo kam aus der Tiefe zu ihm zurück.
    So unwirklich spielten Helligkeiten und Schatten um ihn her, dass Gontas eine Weile brauchte, bis er die Veränderung bemerkte. Das Licht wurde greifbarer, echtes Licht, das schwer und rötlich auf ihn herniederfiel. Gontas sah seine Hände, wie sie die geflochtenen Lederriemen umfassten, und sie sahen aus wie in Blut getaucht.
    Er schaute nach unten. Das Glühen in der Tiefe war näher gekommen, ein unruhiger Feuerschein, der ihm anzeigte, dass der Schacht dort in einem Raum mündete. Doch dieser Ausgang war noch zu weit weg, und der Schein aus der Tiefe erreichte ihn kaum.
    Erst als er den Kopf hob, sah Gontas, woher das Leuchten kam, das ihn umgab: Der Styx schob sich über den Rand der Öffnung ganz oben in der Turmspitze. Ein schmaler Streifen des vollen Mondes war zu sehen. Der Styx leuchtete orange, und rote Streifen bewegten sich zitternd auf seiner Oberfläche wie Schleier von Blut.
    Der Buschläufer ließ sich rascher an den Lederschnüren hinab, die feucht wurden unter seinen aufgerissenen Händen.
    Der Schacht verlief schließlich durch die Decke eines großen Gewölbes, kreisrund und zwölf Schritt im Durchmesser. Unten im Boden des Raumes setzte er sich fort, ein klaffendes Loch, dessen Tiefe nicht einmal zu erahnen war. Der kunstvolle Turm aus dem glasglatten Stein ruhte auf einem Fundament aus gewöhnlichen Felsquadern. Die Halle, in die Gontas hinabstieg, bestand aus grauen Blöcken. Sie strahlten eine trockene Kälte aus, die der schwülen Wärme des unnatürlichen Regenwaldes an der Oberfläche Hohn sprach.
    In regelmäßigem Abstand gab es Mulden im Mauerwerk. Schalen mit Öl standen darin, in denen jeweils ein glimmender Docht schwamm und einen sanften Schein verbreitete. Aber das Loch zu seinen Füßen blieb dunkel. Der matte Stein darin warf nicht einmal den trügerischen Schimmer zurück, der Gontas bislang begleitet hatte, und selbst das Mondlicht fiel nicht bis in die Tiefe. Unterhalb des Gewölbes führte der Schacht in den Schoß der Erde selbst.
    Gontas beschloss, ihn hier zu verlassen und sein Glück in der erleuchteten Halle zu versuchen. Es war der einzige Ausweg aus dem Schacht, den Gontas seit dem Turmzimmer gesehen hatte, womöglich der einzige überhaupt.
    Er ließ sich ein Stück tiefer hinab, bis er den Raum gut überblicken konnte, und sah sich um.
    Gontas war allein. Von dem Loch in der Mitte aus erstreckte sich der Boden der Halle mehrere Schritt weit bis zu den grob gemauerten Wänden. Das rötlich blakende Licht der Feuermulden enthüllte zwei offene Durchgänge, die einander gegenüberlagen. Die Ketten und Lederseile, an denen Gontas hing, reichten noch ein kurzes Stück tiefer in den Raum und endeten dann. Fleischerhaken baumelten am Ende der Ketten; sie waren mit dunklen Flecken besudelt, mit geronnenem Blut vielleicht, das im schwachen Flammenschein schwarz aussah. Die Lederriemen daneben waren in gleicher Höhe zu einem Gurtzeug geflochten.
    Neben einem der Ausgänge gab es ein Rad an der Wand. Von dort liefen Ketten und Stricke, ganz ähnlich jenen, an denen Gontas hing, zur Decke des Raumes und verschwanden in Öffnungen an der Seite des Schachts. Zwischen dem Loch und der Wand, nicht weit von der Winde, erblickte Gontas einen eisernen Käfig, der unter der Decke hing. Eine halb verweste Leiche saß darin. Der

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