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Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx

Titel: Im Mond des Styx - Lohmann, A: Im Mond des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Lohmann
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Gewebes blieben am Stahl hängen, doch die erstarrte Miene des Mannes zeigte keinen Schmerz.
    Stattdessen erklang wiederum ein Stöhnen und Winseln aus dem Käfig, leise und hohl, aber von einem Leid erfüllt, das weit über den Schmerz des Augenblicks hinausging.
    Gontas sah, wie die scheinbar tote Gestalt in dem Käfig sich regte. Ihre Beine zuckten. Sie fuhr sich mit den dürren Armen an der Brust entlang und wand sich hinter den Gitterstäben.
    Endlich hielt der Mann den Pfeil in der Hand. Er warf einen nachdenklichen Blick darauf und schleuderte ihn zur Seite. Dann holte er tief Atem und sprach, als wäre nichts geschehen.
    »Armselig. Aber natürlich konntest du nicht wissen, dass ich die Beschränkungen meines sterblichen Leibes längst hinter mir gelassen habe. Andererseits, womöglich wirst du bald schon die Magie kennenlernen, die mir das ermöglicht hat …«
    »Sarjat«, sagte Gontas. »Du bist Tarukans Hexenmeister. Ich habe den jungen Burschen oben im Turm erschlagen, der sich dein Herr nannte, und ich finde auch einen Weg, um mit dir fertig zu werden.«
    »Unwahrscheinlich.« Der Zauberer zuckte die Achseln. »Und was der junge Mann dort oben treibt oder nicht mehr treibt, bekümmert mich wenig – Sarkan war sein Name? Doch was dich angeht, habe ich da nicht den Funken eines Erkennens bemerkt, als dein Blick auf meine Besucherin fiel?«
    Sarjat streckte den Arm zur Seite. Seine Hand glitt ab, als er Toris kurze Haare zu greifen versuchte. Er zog den Kopf der Söldnerin am Ohr nach oben, sodass Gontas ihr Gesicht sehen konnte.
    »Sie und ihr Begleiter wurden gestern in meinem Wald aufgegriffen. Als ich gerade in den Kerkern war, um einen Helfer für das heutige Ritual auszuwählen, da war sie so laut und voller Leben. Das weckte meine Aufmerksamkeit. Jetzt bin ich froh, dass ich sie mitgebracht habe, denn ich vermute sehr, dass ich damit ein Wiedersehen möglich gemacht habe. Ihr seid gemeinsam zum Turm des Wurms gekommen, nicht wahr?«
    Er musterte Gontas aufmerksam und schnippte mit den Fingern. Einer der Myrmoi ließ Tori los und bewegte sich um die Öffnung im Boden herum. Gontas ließ den Bogen fallen und hob die Stabklinge wieder auf. Er wich zwei Schritte von dem Loch zurück, um Platz zu haben, wenn es zum Kampf kam.
    Aber das Insektenwesen kümmerte sich nicht um ihn. Es trat an die Winde, legte einen Hebel um und senkte langsam und klirrend den Käfig auf den Boden. Dann klappte es eine Tür auf und zerrte den Körper heraus, den Gontas anfangs für tot gehalten hatte. Es schien eine Frau zu sein. Die Arme und Beine hielt sie nun eng an den Körper gezogen, die Haut sah verschrumpelt und faltig aus; die schimmligen Fetzen einer Tunika waren tief in das faulige Fleisch eingewachsen, der Kopf war teigig aufgequollen, und ölige Haarsträhnen klebten im Gesicht wie vorstehende Aderstränge. Dennoch lebte sie noch. Sie wandte das Gesicht zu Gontas hin, als der Ameisenmann die Frau hochhob. Tote Augen sahen auf den Buschläufer herab, unnatürlich belebt von unruhigem Fackelschein, der sich in eitrigem Sekret spiegelte.
    Der Insektenkrieger trug das verfaulende Bündel auf den Rand der Öffnung zu. Ein modriger Pesthauch stieg Gontas in die Nase. Der Myrmoi packte die beiden Ketten, die über dem Abgrund baumelten, und stach die Fleischerhaken unter das Schlüsselbein. Dann ließ er los, und die Frau schaukelte langsam über dem Loch. Die Haken rissen an ihrem untoten Fleisch, und wieder stieß das formlose, schmutzige Bündel, das einst ein Mensch gewesen war, schmerzerfüllte und erstickte Klagelaute aus. Die Laute eines Folterkellers hallten von den Mauern des Gewölbes wider.
    Gontas spürte, wie ihm die Übelkeit in die Kehle stieg.
    »Du kommst zur rechten Zeit«, sagte der Hexenmeister. »Sie war fast schon verbraucht, und es ist an der Zeit, dass der Wurm unter dem Mond des Styx ein neues Opfer küsst. Noch kannst du deine Gefährtin vor diesem Schicksal bewahren.«
    Auf eine Geste des Zauberers hin hob der zweite Ameisenmann Tori hoch. Die Söldnerin regte sich. Sie schlug die Augen auf und stammelte verwaschene Silben.
    Gontas schnaubte. »Gefährtin. Sie ist nur eine Söldnerin, die ich erst vor einer Woche in Apis getroffen habe. Wer sagt, dass sie mir etwas bedeutet?«
    »Man wird sehen, man wird sehen …« Zum ersten Mal zeigte das Antlitz des Zauberers so etwas wie eine Regung: Neugierige Erwartung lag in dem Blick, der auf dem Buschläufer ruhte. »Du kannst sie retten, aber nicht

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