Im Namen der Gerechtigkeit - Roman
er.
«Ein toller Kerl. Wirklich, toll.»
«Nicht wahr? Ich bin sehr stolz auf ihn.»
«Ja, es ist unglaublich.»
«Du hättest sehen sollen, welche Fortschritte er im letzten Jahr gemacht hat. Ich freue mich, dass ich ihn hierher mitgenommen habe. Er hat bei Tisch nicht mal gekleckert. Früher war das immer eine Katastrophe.» Er nickte gedankenverloren. «Diese Klinik kostet ein Vermögen, doch sie ist gut, das muss man schon sagen. Er kann jetzt in die Gesellschaft zurück.»
Doni schaute diesen kleinen, untersetzten Glatzkopf an. Er war ein ausgezeichneter Generalstaatsanwalt. Ein bedeutender, kluger Mann. Warum also gab er seinen Enkel vor den Kollegen dermaßen der Lächerlichkeit preis? Merkte er nicht, wie melodramatisch er war?
Doch vielleicht, so überlegte Doni weiter, war das der Preis der Macht. Jeder Mann in einer verantwortungsvollen Position muss seinen wunden Punkt verbergen – den Winkel seines Herzens, wo die Welt ihn treffen und ins Banale ziehen könnte.
Irgendeine Form der Liebe, auch die selbstverständlichste. Irgendeine Form von Verwundbarkeit.
22
CLAUDIA HATTE NACH seinem Abend im Bocciaklub einige Tage geschmollt, doch als ihre Freundin Livia, die an einer staatlichen Schule Sprachen unterrichtete, sie zu einer Party bei sich zu Hause einlud, änderte sich ihre Stimmung schlagartig.
Erstaunt bemerkte Doni, dass auch er Lust hatte auszugehen. Das Wort Fest formte sich in seinem Kopf und schaukelte dort vor sich hin.
Sie nahmen das Auto, und Claudia bestand darauf, sich ans Steuer zu setzen. Livia wohnte in einer Vierzimmerwohnung hinter der Piazza Mentana, unweit der Via Torino.
Bei Livia waren etwa fünfzehn Leute. Überwiegend gemeinsame Freunde, die sich hin und wieder trafen und die Doni nur teilweise und fast ausschließlich vom Sehen kannte. Keiner von ihnen war besonders sympathisch, doch was sie verband und was auch Doni wie eine Note oder ein Parfüm in der Luft wahrnahm, war die Übereinstimmung ihrer Wünsche oder besser: ihrer Auffassung von Glück.
Konservativ, doch nicht zu sehr. Streng, doch nicht zu sehr. Fähig, auch gemeine Witze zu reißen, doch nicht zu sehr. Äußerlich nett. Wunderbare Eltern. Rechtsorientiert, doch nicht für Berlusconi. Der eine oder andere Ex-Achtundsechziger wurde halbwegs toleriert. Hübsche, elegante Ehefrauen, dazu Ehemänner, die zwar leicht verwelkt waren, doch das gesunde Aussehen von Menschen hatten, die keine großen Kämpfe austragen mussten. Zweit- und Dritthäuser an erlesenen Orten, für wohldurchdachte Ferien – die Dolomiten außerhalb der Saison oder das Ionische Meer weitab der Touristenhochburgen. Wenige Zigaretten, manchmal eine Pfeife. Helle Hosen und leichte Mokassins. Erzählungen von einem Glas Portwein in Lissabon, bei dem man mit Blick auf den Ozean Tabucchi zitierte.
Es war nicht schwer. Man musste nur Geld haben.
Claudia wurde von Livia umarmt und verschwand in einer Traube von Frauen in Rock und T-Shirt. Doni schnappte sich ein Glas Spumante und warf am Fenster einen Blick auf die Straße. Das Kopfsteinpflaster war wie leergefegt, und im Wohnblock gegenüber, der so nahe stand, dass man nur die Hand auszustrecken brauchte, um das gegenüberliegende Fensterbrett zu erreichen, waren alle Fenster erloschen.
«Roberto», sagte eine Stimme hinter ihm.
Doni drehte sich um. Es war Nussbaum, ein alter, etwa siebzigjähriger Jude, der aus Andalusien stammte und eine der ältesten Buchhandlungen im Stadtzentrum besaß. Sie hatten sich erst ein paarmal gesehen, doch Doni hatte ihn in guter Erinnerung. Er war intelligent und hatte einen wunderschönen Nachnamen. Außerdem sprach er, und das war eine unwiderstehliche Kombination, mit einem leichten spanischen Akzent. Nicht vulgär oder monoton, sondern höchst angenehm und gerade so stark, dass man ihn bemerkte.
Doni erinnerte diese Besonderheit an eine Anekdote. Als er ein kleiner Junge war, kam sonntags immer ein deutscher Journalist zu Besuch, den sein Vater während des Russlandfeldzugs kennengelernt hatte (er gehörte zu den Letzten, die eingezogen worden waren, und zu den wenigen, die lebend zurückgekehrt waren, durch eine Verkettung günstiger Umstände mit Zugfahrten versteckt in einem großen Koffer, Freunden, die bereit waren, ihn zu retten und so weiter). Später erfuhr Doni, dass er einige Monate mit seiner Tante verlobt gewesen war.
Der kleine Doni hörte zu, wenn er sterbenslangweilige Geschichten von seiner Zeit als Berichterstatter in Italien
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