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Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Im Namen der Gerechtigkeit - Roman

Titel: Im Namen der Gerechtigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nagel & Kimche AG
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erzählte – ein noch langweiligerer Mensch war kaum vorstellbar – , doch Doni war jedes Mal fasziniert von diesem Akzent. Der Kartoffelfresser warf seine Ansichten zur internationalen Lage, Klatsch und Tratsch über die italienischen Christdemokraten und uninteressante Erinnerungen aus seiner bayerischen Jugend bunt durcheinander. Was Doni jedoch eigentlich wahrnahm, war der konsonantische Klang der Stimme. Der erzählte ihm vieles, viele Geschichten, die weitaus schöner und von weit her waren.
    «Wie geht es Ihnen?», fragte Doni. Ihm fiel Nussbaums Vorname nicht ein.
    «Man schlägt sich so durch. Die Buchhandlung macht einige Mühe, ich spiele schon mit dem Gedanken, sie zu schließen.»
    «Aber nicht doch. Das tut mir leid.»
    «Tja, was soll sein, Bücher sind nicht mehr modern. Ich habe es auch satt, denn ich bin jetzt eher ein komischer Kauz als ein Buchhändler. Die Leute kommen, um sich den Laden anzusehen, oh, wie schön, oh, wie geschmackvoll, und drehen eine Runde durch die antiquarische Abteilung. Doch sie kaufen nichts. Stellen Sie sich vor, sie haben mich sogar gefragt, ob sie mich fotografieren dürfen. Offenbar bin ich der älteste Buchhändler der Stadt. Lustig, was? Und Ihnen geht es gut?»
    «Man schlägt sich so durch.»
    Nussbaum lachte auf.
    «Die Antwort ist immer gut. Mal sehen. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie eine Vorliebe für Georges de La Tour. Stimmt’s?»
    Doni zog die Brauen hoch.
    «Stimmt», sagte er. «Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich Ihnen davon erzählt habe.»
    «Ein Buchhändler braucht ein ausgezeichnetes Gedächtnis, sonst kann er einpacken. Kommen Sie doch in den nächsten Tagen mal bei mir vorbei. Dann zeige ich Ihnen einige Bände über Ihren Lieblingsmaler. Gute Sachen, nicht der übliche Mist, den Sie sonst so finden.»
    «Das lasse ich mir nicht entgehen.»
    «Na wunderbar. Und sonst? Haben Sie schon darüber nachgedacht, wo Sie in den Ferien hinwollen? Wir haben immerhin schon fast Sommer.»
    «Eigentlich nicht. Ich nehme an, Claudia möchte zu unserer Tochter in die Vereinigten Staaten. Sie arbeitet dort in der Forschung.»
    «Und wo, wenn ich fragen darf?»
    «In Bloomington.»
    «Oh, ja, in Indiana. Dort war ich schon mal.»
    «Tatsächlich?»
    «Ja, einen halben Tag lang. Es war eine langweilige Dienstreise, in der schönen Zeit, als ich noch öfters unterwegs war.» Er trank einen Schluck Spumante. «Überreden Sie Ihre Frau zu einer Rundreise durch Nordkalifornien, wenn Sie unbedingt in die Vereinigten Staaten müssen. Sie werden restlos begeistert sein. Ich kann Ihnen da herrliche Orte empfehlen.»
    «Danke, ich werde es versuchen.»
    «Und sonst?», wiederholte er. «Sie sind immer noch Staatsanwalt hier in der Stadt, nehme ich an.»
    Ein jüngerer Kerl mit einer großen, schwarzumrandeten Brille brach aus der nebenstehenden Gruppe aus und klopfte Doni auf die Schulter.
    «Na und ob», rief er. «Und ob unser Freund hier in der Stadt Staatsanwalt ist!» Der Kerl nickte Nussbaum und Doni zu. Sie lächelten sich verlegen an, dann hob er die Hand und gesellte sich zu einer anderen Gruppe.
    «Wer war denn das?», fragte Nussbaum.
    «Ich habe keine Ahnung.»
    Nussbaum brach erneut in Gelächter aus. Es klang hell und jungenhaft.
    «Gut, dann zurück zu uns.»
    «Leider habe ich nicht viel zu erzählen», sagte Doni und breitete die Arme aus.
    «Keine interessanten Fälle?»
    «Dieser Beruf ist viel langweiliger, als man denkt.»
    «Ach, das glaube ich gern. Zweifellos.» Er hielt inne. «Habe ich Ihnen schon mal erzählt, wie Montanelli zu mir in die Buchhandlung kam?»
    «Ich glaube nicht.»
    Nussbaum leitete die Anekdote – offensichtlich ein Klassiker in seinem Repertoire – mit einem verschwörerischen Lächeln und einer Stimme ein, die nun um eine Terz tiefer klang.
    «Mitte der achtziger Jahre, an einem Freitag im August. Die Stadt war damals wirklich wie ausgestorben – wissen Sie, alle fuhren weg –, und ich war im Begriff, den Laden zu schließen. Es war der letzte Tag vor den Sommerferien. Ich lasse also den Rollladen herunter, als plötzlich Montanelli vor mir steht, eine Hand hebt und sagt: ‹Einen Augenblick.› Was würden Sie tun, Montanelli den Rollladen vor der Nase herunterlassen? Ich tat so, als würde ich ihn nicht erkennen, aus Höflichkeit, doch ich ließ ihn ein. Er kam sofort zur Sache und fragte mich, ob ich die Erstausgabe von Montales Die Knochen des Tintenfisches hätte, die von 1925 , in einem Druck von

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