Im Namen Des Schweins
er bereits den Einkauf in einem Baumarkt erledigt. Vier Eimer weiße Farbe, vier Töpfchen Lack, Lösungsmittel, Farben, Kitt, Pinsel, Walzen, Schalen, Abklebeband und eine Aluminiumleiter hat er ins Auto geladen. Die Leiter passte nur quer hinein und ragt teilweise noch auf den Beifahrersitz.
Bevor er aus dem Parkhaus heraus und nach Hause fährt, ruft er seine Frau an. Er genießt das neue Telefon mit Freisprechanlage. »Hallo, in einer Stunde bin ich zu Hause. Was machen die Fleischklößchen?«
»Die sind auf einem guten Weg. Hast Du schon alles erledigt, was Du auf der Liste hattest?«
»Die Kuchen fehlen noch und die Kastanien, aber die kaufe ich im Dorf.« Der Fahrer verspürt ein Gefühl gesteigerten Wohlbefindens, das eher zu einem Jugendlichen, als zu einem Pensionär passen würde. Trotzdem surrt sein Audi wie vorgeschrieben mit 120 Stundenkilometern über die Autobahn. Der Motor ist im klimatisierten Innenraum fast nicht zu hören. Ebenso wenig wie die Räder auf dem Asphalt. Zur serienmäßigen Ausstattung gehört ein CD-Player, der bis zu 10 CDs speichern und abspielen kann, ohne die Hände vom Steuerrad nehmen zu müssen. Der frisch pensionierte Jugendliche nutzt daher die Zeit, um eine seiner letzten Neuerwerbungen zu hören. Ein Geheimtipp wie der Junge im Plattenladen sagte, der schon lange wieder vom Heftpflaster auf der Nase befreit ist: Y aunque parezca mentira, me pongo colorada cuando me mi-ras / Me pongo colorada cuando me mi-ras / me pongo coloraaaaada.
Als er vor ein paar Tagen durch die Programme zappte, sah er den Video-Clip dazu, der als Werbung für die CD lief: ein Harem an jungen Lolitas, die in einer Reihe standen, sich sanft bewegten, und dabei gleichermaßen ernst wie zurückhaltend zügellos aussahen: y aunque parezca mentira …
Das alles erklärt das Wohlbefinden, die Gelassenheit, Offenherzigkeit, vage sinnliche Erregtheit, die er verspürt, als er die Autobahn bereits verlassen und die letzten Kilometer Landstraße Richtung Calabrava einschlägt. Da kommt plötzlich ein weißer Mercedes-Laster, der Elektrokabelspulen geladen hat, von der Fahrbahn ab, und knallt fast frontal auf den silberfarbenen Audi drauf. Bedenkt man die Summe an Gewicht und Geschwindigkeit beider Automobile, dürfte die kinetische Energie, die bei dem Aufprall frei wird, etwa so groß sein, wie wenn ein sechstausendsechshundert Kilogramm schwerer Meteorit mit zweihundertzwanzig Stundenkilometern einschlägt. Dabei zerquetscht der silbergraue Audi A3 mit einem Bombenknall an der Schnauze des Lastwagens. Eine Myriade an kleinen Teilchen und Splittern schleudert durch die Luft: Autofenster, Felgen, Zierkappen, Scheinwerfer, Spiegel …
Der Innenraum reduziert sich in einem Bruchteil von Sekunden bis auf die Hälfte seiner ursprünglichen Länge. Er ist unter einem Hagel von zerstäubtem Glas völlig deformiert. Jeder Airbag schießt wie verrückt los, aber der Motor drückt unaufhaltsam unter dem Armaturenbrett herein. Die Rückbank springt heraus und mit ihr die schweren Farbeimer aus dem Kofferraum.
Die Alluminiumleiter bricht und spaltet sich, bis sie aussieht wie ein Kamm mit Metallzinken. Dieses Metallknäuel prallt ein paar Meter weiter auf, fällt in den Straßengraben und bleibt leicht schaukelnd auf dem Dach liegen. Der Mercedes-Laster dagegen besitzt aufgrund seiner Masse mehr Trägheit. Er hat sich kaum von der Fahrbahn bewegt.
Im allerletzten Augenblick vor dem Aufprall hat der Kommissar die Augen geschlossen. Als er sie wieder öffnet, sieht er ganz dicht vor seinem Gesicht die Telefonanlage und den CD-Player, der aus irgendeiner Laune des Zufalls immer noch funktioniert, wenn auch mit einer anderen CD: Qué horas son, mi corazón … Das bringt ihn zum Lachen, was aber mehr eine nervöse Reaktion ist. Er spürt keinen Schmerz, nicht einmal Unbehagen. Das ist ungewöhnlich dafür, dass er kopfüber im Sitz hängt. Nur das Einschneiden des Sicherheitsgurts, der ihn halb baumelnd im Sitz hält. Und irgendwo ist noch ein schwer lokalisierbares Kribbeln.
Die Brille sitzt noch auf der Nase. Er sieht, wie es das Gestell verdreht hat. Dann dreht er ein bisschen den Kopf, um etwas mehr zu erkennen. Plötzlich sieht er die Schnalle seiner eigenen Uhr, die am Handgelenk sitzt, aber hinter seiner eigenen Schulter auftaucht.
Ein bisschen weiter oben erkennt er (oder weiter unten für einen Betrachter, der aufrecht auf dem Boden steht) in einer völlig unmöglichen Haltung die reglose Innenfläche
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