Im Namen des Todes: Roman (German Edition)
sich dafür.«
» Lino hatte ein solches Tattoo. Er hatte es sich entfernen lassen, bevor er nach Spanish Harlem kam.«
López’ Augen wurden trüb, als er verstand. » Dann kam er also von hier. Dann war er hier daheim.«
» Ich könnte die Namen der Leute brauchen, die Sie kennen und die diese Tätowierung haben.« Als López die Augen schloss, fügte sie in leichtem Ton hinzu: » Dann hätte ich vielleicht auch noch mehr Kaffee für Sie.«
» Nein, aber trotzdem vielen Dank. Lieutenant, die Menschen, die diese Zeit durchlebt haben und nicht im Gefängnis gelandet sind, sind inzwischen alle älter und haben sich mit ehrlicher Arbeit und eigenen Familien ein neues Leben aufgebaut.«
» Daran will ich auch nichts ändern. Außer, einer von ihnen hätte Lino umgebracht.«
» Ich werde Ihnen die Namen, die ich kenne oder in Erfahrung bringen kann, notieren. Aber dafür hätte ich gern bis morgen Zeit. Es ist nämlich nicht leicht für mich, mich gegen die Autoritäten zu stellen, an die ich glaube.«
» Morgen reicht vollkommen aus.«
» Sie denken, er war ein schlechter Mensch. Lino, meine ich. Sie glauben, er hat vielleicht Flores umgebracht, um an seine Soutane, seinen Namen, sein Leben zu gelangen. Und trotzdem arbeiten Sie wie eine Besessene, um denjenigen zu finden, der ihn getötet hat. Das verstehe ich. Daran glaube ich. Deshalb werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um Ihnen dabei behilflich zu sein.«
Als er sich erheben wollte, meinte sie: » Was haben Sie gemacht, bevor Sie Priester wurden?«
» Ich habe im Lokal meines Vaters gearbeitet und nebenher geboxt. Wobei ich eine Zeitlang professioneller Boxer war.«
» Ja, das habe ich bereits herausgefunden. Sie waren alles andere als schlecht.«
» Ich habe den Sport, die Disziplin, das Training, das Gefühl, sobald ich einen Ring bestieg, geliebt. Ich habe davon geträumt, in der Welt herumzukommen und irgendwann berühmt und reich zu sein.«
» Und wann haben Sie es sich anders überlegt?«
» Es gab da eine junge Frau. Ich habe sie geliebt, und sie hat mich geliebt. Sie war wunderschön und völlig unverdorben. Wir wollten heiraten. Ich sparte beinahe das gesamte Geld, das ich für meine Siege ausbezahlt bekam. Damit wir heiraten und eine eigene Wohnung haben könnten. Eines Tages, während ich beim Training war, lief sie von der Wohnung ihrer Eltern Richtung Stadt, um mich zu sehen und mir mein Mittagessen vorbeizubringen. Männer– drei Männer– haben sie unterwegs entführt. Wir haben zwei Tage lang nach ihr gesucht. Sie hatten sie am Flussufer zurückgelassen. Hatten sie erwürgt. Vorher hatten sie sie vergewaltigt und geschlagen, dann ließen sie sie einfach nackt unten am Fluss liegen.«
» Das tut mir furchtbar leid.«
» Nie zuvor in meinem Leben habe ich einen solchen Hass verspürt. Er war sogar noch größer als meine Trauer, und mein Wunsch, sie– oder vielleicht auch mich– zu rächen, er fraß mich beinahe auf. Zwei Jahre habe ich von diesem Hass gelebt– von dem Hass, von Drogen, Alkohol und allem, was die Trauer dämpfte, damit der Hass erhalten blieb. Ich verlor mich vollkommen in diesem Gefühl. Dann fanden sie die Kerle, nachdem ihnen noch ein anderes junges Mädchen zum Opfer gefallen war. Ich wollte diese Typen umbringen. Plante, wie ich es machen würde, träumte jede Nacht davon. Ich legte mir ein Messer zu. Obwohl ich wahrscheinlich niemals nahe genug an sie herangekommen wäre, um es zu benutzen, war ich überzeugt davon, es irgendwie zu schaffen. Dann aber kam sie zu mir. Meine Annamaria. Glauben Sie an solche Dinge, Lieutenant? An Wunder und Erscheinungen?«
» Ich weiß nicht. Aber ich glaube an die Macht des Glaubens an derartige Dinge.«
» Sie sagte mir, ich müsste endlich loslassen, weil es eine Sünde wäre, mich in etwas zu verlieren, was es nicht mehr gab. Sie bat mich, allein auf eine Pilgerreise zum Schrein von Unserer Lieben Frau von San Juan de los Lagos zu gehen und– da ich ein halbwegs talentierter Zeichner bin– ein Bild der Heiligen Mutter Gottes als Geschenk für sie zu malen. Denn dann würde endlich wieder Ruhe in meinem Leben einkehren.«
» Und, haben Sie das getan?«
» Oh ja. Ich habe sie geliebt, deshalb habe ich ihr diesen Wunsch erfüllt. Ich bin einen weiten, weiten Weg gegangen. Mehrere Monate lang. Unterwegs habe ich nur angehalten, wenn ich eine Arbeit, Schlaf oder etwas zu essen brauchte, und während dieser Reise fand ich meinen Glauben wieder und wurde langsam
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