Im Nebel eines neuen Morgens - Kriminalroman
gewogen. Mein ganzer Körper war von Schorf und Läusen übersät. Noch einen Monat, und ich wäre tot gewesen.«
»Warum hat sie dann so viel riskiert, um Sie zu befreien?«
»Ich war der Einzige, der überhaupt versucht hat, zu fliehen. Die anderen meinten, sie würden in den Sümpfen umkommen. Wir waren ständig kurz vor dem Verhungern.« Seine Hand ging zum Bizeps, der, wie Raymond bemerkte, dünner war als sein Unterarm. »Sie haben die Alligatoren mehr gefürchtet als Veedal Lawrence.«
»Veedal ist tot«, sagte Raymond.
Ein überraschtes Funkeln lag in Dugas’ Blick. »Wie ist er gestorben?«
»Ich hab ihn überfahren.«
Dugas lachte laut auf, warf den Kopf zurück und ließ sein schallendes Gelächter durch die Bar tanzen.
Raymond wartete, bis sich die Gäste wieder ihren Getränken und Gesprächen zuwandten. »Wenn nicht Sie der Vater von Adeles Kindern sind, wer dann? Henri?«
»Adele hat Kinder?« Dugas wirkte entsetzt.
Raymond nahm ihm seine Überraschung ab. »Zwillinge, Jungen. Sie sind vor ein paar Wochen am Fieber gestorben.«
»Dieser verdammte Henri Bastion!« Dugas’ Miene verzerrte sich. »Er hat es mit einer getrieben, aber nicht mit Adele. Auf einen wie Henri Bastion hätte sie noch nicht mal gespuckt.« Die Falten um seine Mundwinkel wurden tiefer. »Dieser Dreckskerl. Vielleicht hat er sie vergewaltigt. Aber sie hat nie was in der Richtung angedeutet. Sie hätte ihn dafür nicht umgebracht, nie und nimmer, aber sie hat gewusst, dass ich es getan hätte. Deshalb hat sie sich vielleicht auch darauf eingelassen, mir bei der Flucht zu helfen. Damit ich ihn nicht umbringe.« Er schlug mit der Faust so fest auf den Tisch, dass alle Geräusche in der Bar verstummten. Dann ließ er seinen finsteren Blick einmal durch den Raum schweifen, und alle widmeten sich wieder ihren Unterhaltungen.
»Es tut mir leid, Dugas.«
»Adele konnte keiner Seele was zuleide tun. Sie hatte ein Herz für alle Lebewesen.« Sein Blick ging zu Florence. »Adele war gutaussehend. Sie hätte regelmäßig arbeiten, ein gutes Leben führen können. Aber das wollte sie nicht. Sie wollte Lehrerin werden und hat der Tochter ihrer Schwester das Lesen beigebracht.«
Raymond hatte das Gefühl, als spräche er von einer ganz anderen Person. »Sie verwechseln sie nicht zufällig mit ihrer Schwester Rosa? Die war spirituell veranlagt.«
Dugas schüttelte den Kopf. »Adele war ein sanftes Gemüt. Es war ihr unerträglich, wenn sie jemanden leiden sah. Egal ob Mensch oder Tier. Sie wollte sich von der Alten in den Sümpfen, von der sie die ganze Zeit gesprochen hat, das Heilen beibringen lassen. Sie hat für die Bastions gearbeitet, um etwas Geld auf die Seite legen zu können.«
Das Bild, das Dugas von Adele zeichnete, stand in krassem Gegensatz zu dem, was Marguerite Bastion und Bernadette Matthews über sie erzählt hatten. »Man hat mir gesagt, Adele sei mit ihrem Körper sehr freizügig umgegangen.«
Raymond spürte Florence’ Blick auf sich, aber sie sagte nichts.
»Adele ist eine schöne Frau, Deputy Thibodeaux. Sie hätte jeden Mann haben können, den sie wollte. Aber das hat sie nicht interessiert.« Er sagte es mit Überzeugung. »Wenn ich nicht um mein Leben gerannt wäre, hatte ich sie mitgenommen.« Er wrang die Hände. »Mit Adele hätte ich ein ehrbares Leben führen können.«
Florence schaltete sich ein. »Als Adeles Kinder starben, wurde auch sie krank. Sie hält sich für einen loup-garou .«
Dugas musterte Florence, dann sprach er mit leiser Stimme. »Adele ist keine Mörderin. Vielleicht ist sie eine Heilige, aber bestimmt keine Mörderin.« Er stand auf. »Adele ist eine gute Frau, ein reiner Mensch. In Gedanken und Werken. Wer etwas anderes behauptet, hat entweder was zu verbergen oder einen verdammt guten Grund, um eine so liebenswürdige Frau zu verleumden. Wenn Sie noch Fragen haben, stellen Sie sie jetzt. Das Boot, mit dem ich fahre, wartet nicht.«
Raymond erhob sich ebenfalls. »Gibt es noch irgendwas, das mir helfen könnte, Adeles Unschuld zu beweisen?«
»Nur, dass sie zu einem Mord nicht fähig ist.« Er machte zwei Schritte weg vom Tisch zur Hintertür.
»Wo kann ich Sie finden, wenn ich mit Ihnen noch mal reden muss?«, fragte Raymond.
»Reden Sie mit Callie. Sie wird mir Bescheid geben. Seit meiner Flucht von der Plantage achte ich darauf, dass ich mich nie lange an einem Ort aufhalte. Ich habe diese Frau nicht umgebracht, aber das heißt nicht, dass der Staat mich nicht wieder
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