Im Netz der Angst
CD jahrelang gehört. Lassen Sie es mich einfach wissen, falls Sie der Meinung sind, Taylor solle sie bekommen.«
»Ich werde sie mir auf dem Weg nach Hause im Auto anhören – falls ich heute Abend jemals hier rauskomme.« Er wies auf den Aktenstapel.
Sie verabschiedete sich und lief die Korridore entlang bis zu Taylors Station. Sie musste noch einmal klingeln, wurde durchgelassen und zum Aufenthaltsraum geschickt. Dort saß Taylor mit ihrer Tante.
»Hallo, Marian«, sagte Aimee.
Jetzt am Wochenende war mehr Betrieb als sonst, da viele Familien ihre Angehörigen besuchten. Ein fröhliches Beisammensein sah allerdings anders aus. Schweigend und mit langen Gesichtern saßen alle um die Tische herum, während ihre teilnahmslosen oder aber viel zu aufgedrehten Lieben ohne Punkt und Komma redeten oder ihre Besucher ganz ignorierten. Aimee konnte keinerlei »normale« familiäre Kommunikation erkennen. Selbstverständlich wäre wohl keiner der Patienten hier, wenn er fähig wäre, sich »normal« zu verhalten.
Marian Phillips saß mit Taylor am Ende eines langen Tisches. Am anderen Ende saß ein älterer Mann im grauen Jogginganzug. Eine blasse, angespannt wirkende Frau in verwaschenen Jeans war bei ihm. Als er die Hand nach ihrer ausstreckte, zog sie sie weg und begann lautlos zu weinen.
Aimee wünschte, sie könnte all diesen Leuten hier helfen. Sie wünschte, sie könnte die seelischen Verletzungen heilen, die diese Menschen innerlich zerrissen und die sie mit Alkohol oder Drogen bewältigen wollten. Doch das konnte sie nicht. Dem geballten Schmerz hier drin war ein einzelner Mensch nicht gewachsen.
Also konzentrierte sich Aimee auf Taylor und setzte sich zu ihr und Marian.
»Hallo, Taylor«, begrüßte sie das Mädchen.
Taylor antwortete nicht, sondern schaute sie nur kurz von der Seite an. Marian lächelte und zuckte leicht mit den Schultern. Aimee legte ihre Hand neben die von Taylor auf den Tisch. Sie hoffte, Taylor würde wieder danach greifen, so wie neulich, als Sean Walter sie besucht hatte. Das tat sie zwar nicht, zog die eigene Hand jedoch auch nicht weg.
»Wie geht es dir heute?«, fragte sie, bekam aber wieder keine Antwort. Aimee wandte sich Marian zu.
»Ich denke, es geht voran«, antwortete Marian für Taylor.
»Das ist großartig«, sagte Aimee. Sie hoffte, dass keine der Fragen, die sie Taylor heute stellen wollte, diese Fortschritte wieder zunichtemachen würde. Ihr Instinkt sagte ihr, dass es an der Zeit war, sich weiter vorzuwagen. Taylor hatte versucht, etwas mitzuteilen. Gleichzeitig hatte ihr dieser Versuch Angst gemacht. Aus diesem Grund musste sie nun unbedingt ermutigt werden, damit sie sich weiter öffnete.
»Taylor«, begann Aimee und legte Taylor eine Hand auf den Rücken. »Ich würde mich gern mit dir über deine Zeichnungen unterhalten.«
Josh hämmerte gegen Kyle Porters Wohnungstür und brüllte: »Polizei! Aufmachen!«
Sie standen vor einem alten mehrgeschossigen Backsteinhaus mit sechs winzigen Wohnungen. Kyles befand sich im ersten Stock.
Josh hatte so laut gerufen, dass Elise sehen konnte, wie die Menschen zwei Wohnungen weiter bereits neugierig aus den Haustüren schauten. Das Kinn ihres Partners schien verkrampft und sein Geduldsfaden war dank Richter Leal offensichtlich zum Zerreißen gespannt.
Leal war ein kleiner Mann und Josh fast eins neunzig groß. Vielleicht hatte Leal ja einen Napoleon-Komplex, er versuchte jedenfalls ganz offensichtlich, seine kleine Körpergröße durch zwanghaftes Erfolgsstreben zu kompensieren. Wie auch immer, Elise hatte das jedenfalls bereits viel zu oft miterleben müssen. Es erforderte jede Menge innere Größe, um sich eben nicht von der eigenen geringen Körpergröße beeinträchtigt zu fühlen. Wenn ein kleiner Mann sich in einer Machtposition gegenüber einem großen befand, wurde es leider meist ziemlich hässlich. Und so war es dann auch beinahe gekommen.
Ihre Anwesenheit hatte auch nicht gerade geholfen. Elise wusste nicht, ob sie es ihrer Hautfarbe oder der Tatsache, dass sie eine Frau war, zuschreiben sollte, dass Leal sie jedes Mal wie eine Idiotin behandelte. Woran es auch liegen mochte, angenehm war es jedenfalls nicht. Elise hatte eigentlich ein dickes Fell. Als Frau im Polizeidienst war damit zu rechnen, dass einem Knüppel zwischen die Beine geworfen wurden. Leal war nicht der Erste, der das tat, und er würde auch nicht der Letzte sein. Sicherlich war es schon ärgerlich, doch sie und Josh waren bislang immer gut
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