Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Netz der Angst

Im Netz der Angst

Titel: Im Netz der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eileen Carr
Vom Netzwerk:
sagte Taylor und schlug die Augen nieder.
    Aimees Herz zog sich zusammen. Sie hätte wissen müssen, wie schwierig es für Taylor war, über ihre Selbstverstümmelung zu sprechen. Die Scham, die den Schmerz überdeckte, war eine weitere Hürde, die sie gemeinsam zu überwinden hatten. »Schon gut, Taylor. Niemand verurteilt dich dafür.«
    Taylor hob ruckartig den Kopf und starrte sie zornig an. »Wollen Sie mich verarschen? Jeder verurteilt mich dafür! Jeder!«
    »Wer urteilt über dich, Taylor?« Aimee lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, froh darüber, dieses Feuer in Taylors Augen zu sehen. Den Ärger nach außen a0nstatt nach innen zu richten war ein wichtiger Schritt.
    »Meine Mutter. Mein Vater. Die anderen in der Schule.« Sie zählte dabei an ihren Fingern mit den abgekauten, schwarz lackierten Nägeln ab. »Ich bin ein beschissenes Klischee. Das Emo-Mädchen, das sich selbst verletzt. Ich hasse das! Ich hasse mich! Ich hasse das alles!«
    Dann hatte sie angefangen zu schluchzen und für die restliche Therapiestunde kein Wort mehr gesagt.
    Jetzt dachte Aimee an den leeren Blick, als Taylor sich vor- und zurückgeschaukelt hatte. Was ging bloß in ihrem Innern vor? Vor welchen furchtbaren Dingen verschloss sie sich? Was für Qualen lauerten da in ihr, die sie nicht ertragen konnte?
    Sie legte Papier nach. Ganz hinten in der Akte befanden sich einige Zeichnungen, die Taylor in den drei Monaten der Behandlung angefertigt hatte. Aimee faltete die oberste auseinander, es war ein Selbstporträt. Taylor hatte sich selbst als kleine Figur ganz unten in der Ecke des Blattes gemalt. Das Gesicht kreideweiß und schwarz umrahmt. Der Körper der Figur war ebenfalls schwarz, mit einem roten Kreis in der Mitte. Aber es war nicht der Kreis, den Aimee anstarrte. Es war das sich wiederholende Muster aus dreigeteilten Rechtecken und Kreisen oben auf dem Papier.
    Sie schnappte sich ihr Handy und wählte.
    »Wolf«, meldete sich Josh.
    »Detective Wolf, hier ist Aimee Gannon.«
    Verdammt, selbst über Handy verlor ihre Stimme nicht an Reiz. »Was gibt’s denn, Doc?«
    »Ich habe etwas in meinen Unterlagen zu Taylor Dawkin gefunden, das Sie meiner Meinung nach sehen sollten.«
    »Großartig! Um was handelt es sich?« Er sah Elise an und hob den Daumen.
    »Dieses Muster an den Wänden im Haus der Dawkins – es findet sich auch in einer Zeichnung wider, die sie vor Monaten für mich angefertigt hat.«
    Das war zwar interessant, besaß aber kaum Aussagekraft. »Zeigt die Zeichnung sonst noch etwas?«
    »Es ist ein Selbstporträt. Oben hat sie dieses Muster und sich selbst ganz klein darunter gezeichnet. Detective Wolf, ich muss Sie sehen! Das hier ist ausschlaggebend; ich bin mir ganz sicher. Aber der zuständige Arzt in der Klinik möchte nicht, dass ich Taylor besuche.«
    »Denken Sie, dass das Taylor zum Sprechen bringen könnte?« Alles, was zu ihr durchdrang, würde helfen.
    Sie zögerte. »Ich weiß nicht, aber es wäre ein erster Schritt auf dem Weg dahin.«
    Himmelherrgott noch mal, konnten diese Seelenklempner denn nie eine eindeutige Antwort geben? Na ja, ein Schritt voran wäre ja immerhin etwas. Und es gab wirklich Schlimmeres, als etwas mehr Zeit mit Dr. Gannon zu verbringen. »Verraten Sie mir noch mal den Namen der Klinik, in der sie Taylor versteckt halten, dann treffen wir uns morgen früh dort.«

9
    Aimee fuhr schwungvoll auf den Parkplatz vor der Whispering Pines -Klinik. Sie hatte endlich einen Anhaltspunkt und war dementsprechend aufgeregt. Sie würde Taylor helfen können. Dem Entsetzen über den Mord war Wut gewichen. Wütend sein war gut, viel besser als die Angst zuvor. Der Zorn wusch ihre Seele rein .
    Sie glitt langsam die Parkreihen entlang, bis sie eine Lücke fand. Dort war ein grüner Sportwagen quer abgestellt worden, sodass er zwei Plätze für sich in Anspruch nahm; allein anhand eines solchen Parkverhaltens könnte sie ein ganzes Persönlichkeitsprofil aufstellen: Höchstwahrscheinlich ein Mann. Kontrollierend und manipulativ, penibel und extrem auf Ordnung bedacht. Vielleicht hatte er als Kind irgendeine Form von Missbrauch erlebt und die nach außen gerichtete Pedanterie war ein Versuch, das Chaos im Innern zu bändigen. Kein Wunder, dass der Kerl jemanden besuchte, der in einer psychiatrischen Klinik untergebracht war – wahrscheinlich trieb er jeden um sich herum in den Wahnsinn.
    Als Aimee durch die automatischen Schiebetüren in die Empfangshalle trat, erhob sich Detective Wolf aus einem

Weitere Kostenlose Bücher