Im Netz der Angst
Kiefer war angespannt, die Schultern verkrampft. Josh hätte sie am liebsten an sich gezogen, damit sie spüren konnte, dass sie in Sicherheit und nicht auf sich allein gestellt war, doch er hatte sich nicht getraut. Wer weiß, wie sie reagiert hätte. Manchmal war es besser für die Opfer einer Straftat, wenn sie da allein durchgingen.
Dann war sie auf der Türschwelle ins Wanken geraten, als ob ihr die Beine versagten. Er hatte sie aufgefangen und sie hatte mit diesen riesigen blauen Augen zu ihm aufgesehen. In dem Moment waren ihm selbst die Knie weich geworden.
»Lassen Sie mich vorgehen«, bot er an. »Nur zur Sicherheit.«
Sie nickte und versuchte ein Lächeln.
Ihre Wohnung war unerwartet farblos. All das Beige sollte wohl beruhigend wirken, hätte allerdings selbst einen Tapioka-Pudding farbig wirken lassen. Das passte überhaupt nicht zu dem Funkeln in ihren Augen, wenn sie auf ihn wütend war. Auch nicht dazu, wie leidenschaftlich sie sich für Taylor einsetzte.
Wenigstens würde es einfach sein, herauszufinden, ob etwas verändert worden war. Als wenn man in frisch geharktem Sand nach Fußspuren suchte.
»Wie viele Zimmer?«, fragte er.
»Zwei. Ein Badezimmer und eine Gästetoilette«, zählte sie vom Eingang aus auf. »Ich werde ein paar Kerzen anzünden, während Sie sich umsehen.«
Josh schaute in jeden Schrank, hinter jeder Tür und sogar unter dem Bett nach. Als er wiederkam, hatte sie eine Reihe Kerzen auf einem Silbertablett arrangiert, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. Sie entfachte ein Streichholz und hielt es an einen Docht nach dem anderen, bis ihr ganzes Gesicht in goldenes Licht getaucht war.
Gott, wie schön sie war!
»Das wird wahrscheinlich noch viel schlimmer riechen«, sagte sie und blickte auf das Tablett. »Eine meiner Freundinnen hat mich zu so einer Kerzenverkaufsparty mitgeschleift. Ich habe ein Probeset gekauft, also hat jede dieser Kerzen einen anderen Duft.«
»Ich denke, das geht schon in Ordnung«, sagte Josh. Aimee hatte nun wirklich größere Sorgen als Duftkerzen. Allerdings konzentrierten sich die Menschen nach einem Verbrechen oftmals auf ein winziges Detail, damit sie sich nicht mit dem auseinandersetzen mussten, was da gerade geschehen war. »Sieht nicht so aus, als wäre irgendetwas angefasst worden. Vielleicht möchten Sie selbst noch mal durchgehen – nur um sicherzugehen?«
Sie nickte, rührte sich aber nicht, sondern starrte ins flackernde Kerzenlicht und murmelte: »Er war im Gebäude. Er hätte nicht hier in das Gebäude gelangen dürfen.«
Josh rieb sich den Nacken. »Die Menschen verhalten sich oft ziemlich dumm. Sie halten einem Fremden, der so tut, als gehöre er hierher, die Tür auf. Oder sie lassen jemanden herein, obwohl sie dessen Namen durch die Gegensprechanlage gar nicht richtig verstanden haben. Sie werfen keinen Blick zurück, ob sich noch jemand in die Garage schleicht, nachdem sie hineingefahren sind. Es ist doch so: Wenn jemand wirklich in ein Gebäude eindringen will, dann wird er höchstwahrscheinlich einen Weg finden.«
Sie zitterte und Josh bekam ein schlechtes Gewissen, weil er ihr Angst gemacht hatte. Die Wahrheit zu beschönigen, würde sie jedoch nicht schützen.
»Sie haben recht«, sagte sie. »Ich sollte erleichtert sein, dass er nicht auch noch in meiner Wohnung war – aber selbst der Flur ist mir zu nahe.«
»Wir werden ihn morgen früh festnehmen. Er hat hierdurch eindeutig seine Bewährungsauflagen verletzt. So schnell wird der nicht wiederkommen.«
Sie sank in einen der Sessel. »Das hat mir beim letzten Mal herzlich wenig genützt.«
»Möchtest du mir vom letzten Mal erzählen?«, fragte Josh und setzte sich ihr gegenüber.
Sie richtete sich wieder auf und strich sich das Haar aus der Stirn. »Ich bin mir nicht sicher, ob es da so viel zu erzählen gibt, was Sie nicht längst wissen, Detective. Die Akte haben Sie ja schon gelesen.«
»Bitte sag doch Josh. Und ich habe sie mir nicht selbst durchgelesen.«
Eine Stille entspannte sich zwischen ihnen. Dann fragte Aimee: »Bist du im Dienst, Josh?«
»Nein. Tatsächlich bin ich das wohl nicht.«
»Gut. Würdest du dann vielleicht einen Drink mit mir nehmen?«
20
Aimee schenkte Whisky ein und nahm die zwei Gläser mit ins Wohnzimmer. Dort kuschelte sie sich eingewickelt in eine Decke aufs Sofa und deutete auf das andere Couchende. »Mach’s dir gemütlich.« Sie nippte an ihrem Whisky und genoss das starke Brennen, als er ihr die Kehle
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