Im Netz der Angst
ziemlich lebhaft.«
Als Josh mit den Schultern zuckte, bewunderte Aimee umso mehr das Muskelspiel unter seinem dünnen T-Shirt. »Tja, ich kann mich auch nicht wirklich an die dritte Klasse erinnern.«
»Nein, aber die ist bei dir auch länger her als bei Taylor.« Sie richtete sich ein wenig auf und neigte sich zu ihm. Ein großer Fehler. Jetzt trennten sie nur noch wenige Zentimeter. Zumindest fror sie nun nicht länger.
»Das hat gesessen!« Josh hielt sich theatralisch die Brust.
Aimee lächelte. »Du weißt, was ich meine. Außerdem gab es hier ganz klar eine Erinnerungslücke mit fest definiertem Anfang und Ende. Denn nach diesem ersten Sommer in Sacramento setzte Taylors Erinnerung wieder ein. Sie sagte, es läge daran, dass Sacramento beschissen sei und es deswegen keinen Grund gäbe, sich daran zu erinnern, was sie hier erlebt hätte. Sie fand eine Menge Dinge beschissen: Geometrie, Nüchternsein, Hannah Montana, ihre Eltern – um nur ein paar Dinge zu nennen.«
»Klingt nach einem typischen Teenager.«
»Schon, aber sie hat damit nur etwas verdeckt, vielleicht sogar vor sich selbst. Eine solche Erinnerungslücke ist für einen Therapeuten wie eine Signalflagge. Irgendwas ist in dieser Zeitspanne geschehen, an das Taylor sich nicht erinnern will. Da waren auch noch andere Hinweise.«
»Welche denn?«
»Zum Beispiel ihr Wesenswandel nur wenige Monate nachdem sie hierhergezogen waren. Ihre Tante sagte, Taylor sei vor dem Umzug ein zugängliches und freundliches Kind gewesen. Dann hat sich etwas verändert. Sie wurde wieder ruhiger und in sich gekehrter. Sie ist wieder in frühere Verhaltensweisen ihrer Kindheit zurückgefallen.
»Ein Kind, das eine Wesensveränderung durchmacht – das gibt nicht besonders viel her, selbst wenn du das möglicherweise belegen kannst.«
»Es ist ja auch nicht nur das. Sondern auch, wie sie den Plüschhund umklammert hielt, den sie zur selben Zeit als Geschenk von ihrer Tante bekommen hat. Und irgendetwas an diesen Symbolen, die sie in ihr Selbstbildnis eingefügt hat, unter denen sie selbst so klein erscheint und die sie auch jetzt immer und immer wieder zeichnet. Das hängt alles zusammen, Josh. Da bin ich ganz sicher.«
Josh schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.« Zwar würde diese Erklärung eine einfache Lösung für seinen Fall darstellen, einfache Lösungen stimmten Josh jedoch grundsätzlich misstrauisch. Es gab sie einfach so gut wie nie, und schon gar nicht in einer Mordermittlung. Menschen waren kompliziert. Ihre Leben waren kompliziert. Ihre Gefühle waren kompliziert. Und die Art, wie sie mordeten, war genauso kompliziert. »Ein Haufen Zeichnungen stellt noch keine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen her.«
»Irgendetwas daran, wie sie sich wieder dieser Zeit zuwendet, in der sie missbraucht wurde, lässt mich glauben, dass sie eben doch miteinander zu tun haben. Ein emotionales Trauma ist natürlich immer in gewisser Weise mit einem anderen verknüpft. Aber warum geht sie zu genau dieser Zeit zurück, wenn es da keine stärkere Verbindung gibt? Wenn sie sich in die Kindheit flüchtet, warum dann nicht in eine noch frühere Phase wie die, zu der sie sich nach dem Missbrauch zurückentwickelt hat? Ich denke, Taylor will uns mit ihrem Verhalten etwas sagen, genau wie uns diese Symbole, die sie gezeichnet hat, etwas sagen sollen.«
Josh wiegte den Kopf hin und her. »Nichts davon wäre als Beweis vor Gericht verwertbar.«
Aimee wedelte aufgebracht mit den Händen in der Luft. »Ich suche ja auch nicht nach Beweismitteln, die vor Gericht Bestand haben! Ich will herausfinden, wie ich zu Taylor durchdringen kann, damit ich vielleicht zu einer erfolgreichen Therapie beitragen kann!«
Josh setzte sein Whiskyglas ab. »Warum geht nicht beides?«
Sie erhob sich vom Sofa. »Natürlich ginge das! Ich sage ja nur, dass für mich an erster Stelle –«
»Ich weiß, was bei dir an erster Stelle steht! Ich weise dich lediglich darauf hin, wo meine Prioritäten liegen.« Er stand ebenfalls auf und sah sie an.
Aimee war ganz rot im Gesicht, ihre Augen glänzten. Josh wollte dieses Feuer spüren, und sie würde ihm das nicht länger verwehren.
Seine Hände glitten an ihren Armen hinauf, dann beugte er sich hinab und legte seine Lippen auf ihre. Sie waren weich und warm und schmeckten nach Whisky. Er schlang die Arme um ihre Taille und zog sie an sich. Sie legte ihm die Hände auf die Brust, ganz leicht, was ihn nur noch mehr erregte. Er hob das Gesicht und
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