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Im Netz des Teufels

Im Netz des Teufels

Titel: Im Netz des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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Schluck.
    Michael setzte sich auf einen Stuhl neben die Couch. Er würde ein paar Minuten warten, bevor er den nächsten Versuch startete. Das hatte er immer so gemacht. Während ihrer sechs Treffen hatte Falynn sich alles angehört, was er gesagt hatte, aber nichts erwidert. Zweimal begann sie zu weinen. Als sie sich beim letzten Mal bei Michael zu Hause trafen, hielt er nur ihre Hand, bis es Zeit war, sie nach Hause zu bringen.
    »Kann ich dir sonst noch etwas anbieten?«, fragte Michael.
    Falynn schüttelte den Kopf und kauerte sich an den äußersten Rand des alten Ledersofas. Michael musste daran denken, dass der Bürgermeister von New York City einst auf genau diesem Platz gesessen und mit Michael auf seinen Erfolg angestoßen hatte. Und jetzt saß dort ein junges Mädchen, das vielleicht nie wieder die Mauer des Kummers und des Leids überwinden würde, die sie umgab. Er hatte noch nie erlebt, dass sich jemand so komplett von der Welt abgekapselt hatte.
    Michael blickte auf die Akte auf seinem Schoß.
    Seit der Ermordung ihres Vaters war Falynn ihren Pflegeeltern drei Mal davongelaufen. Beim letzten Mal wurde sie bei einem Ladendiebstahl erwischt. Laut Polizeibericht ließ Falynn in einem Baumarkt ein Päckchen Aufkleber mitgehen, die man in einem Kinderzimmer an die Wand kleben konnte. Es handelte sich um gelbe Gänseblümchen. Als sie die Schranke der elektronischen Artikelsicherung passierte, wurde der Alarm ausgelöst.
    Laut Polizeibericht nahmen die Sicherheitskräfte sofort die Verfolgung auf, doch Falynn entwischte ihnen. Darauf verständigten sie die Polizei und gaben eine Beschreibung durch. Eine Stunde später wurde Falynn von der Polizei aufgegriffen. Sie saß in einer Unterführung unter der I-495, einem Ort, der als Obdachlosen-Treffpunkt bekannt war. Laut Polizeibericht war Falynn den Polizisten gegenüber höflich und ließ sich widerstandslos festnehmen.
    Die gestohlenen Aufkleber klebten an den Betonsäulen unter der Brücke.
    Michael beobachtete sie. Er musste jetzt anfangen und es noch einmal versuchen. Wenn Falynn nicht aussagte, stand die Chance nur fünfzig zu fünfzig, dass Ghegan aufgrund der vorliegenden Beweise verurteilt wurde. Sogar die Ergebnisse der Ballistik konnten angezweifelt werden.
    »Du weißt, dass der Prozess morgen beginnt«, sagte Michael, um einen lockeren Ton bemüht. »Ich will ganz ehrlich sein. Der Verteidiger in diesem Fall macht seinen Job sehr gut. Ich habe ihn schon oft dabei beobachtet. Er heißt John Feretti, und er wird dir unangenehme Fragen stellen. Persönliche Fragen. Es wäre gut, wenn wir einige davon vor morgen durchsprechen könnten. Noch besser wäre es, wenn wir deine Aussage zuerst durchgehen würden.«
    Falynn sagte nichts.
    Michael hatte nur noch eine einzige Idee, wie er sie vielleicht aus der Reserve locken konnte. Eine Weile saß er schweigend da, dann stand er auf und ging zum Fenster. Er steckte die Hände in die Taschen, wippte auf den Absätzen und wählte seine Worte sorgfältig.
    »Als ich ein kleiner Junge war, wohnten wir auf dem Ditmars Boulevard in einer kleinen Wohnung im ersten Stock. Kennst du den Ditmars Boulevard?«
    Falynn nickte.
    »Ich hatte ein eigenes Zimmer, aber es war winzig. In einer Ecke stand eine kleine Kommode aus dem Secondhandladen, und neben der Tür war ein Wandschrank. Das Badezimmer war am Ende des Ganges neben dem Schlafzimmer meiner Eltern. Ich musste jede Nacht gegen Mitternacht zur Toilette, doch ich hatte wahnsinnige Angst, an dem Wandschrank vorbeizugehen. Die Tür stand immer einen Spalt offen, und mein Vater kam nie dazu, sie zu reparieren. Ich war ganz sicher, dass sich etwas in dem Schrank versteckte, verstehst du? Eine Art Monster, das sich jeden Augenblick auf mich stürzen konnte.«
    Falynn schwieg, doch Michael spürte, dass sie verstand, worauf er hinauswollte.
    »Eines Tages baute mein Vater in dem Schrank ein Licht ein. Monatelang ließ ich das Licht brennen. Irgendwann begriff ich dann, dass das Monster, falls sich überhaupt jemals eines im Schrank versteckt hatte – und davon bin ich noch immer überzeugt –, verschwunden war. Monster mögen kein Licht.«
    Michael drehte sich zu Falynn um. Er befürchtete schon, diese zugegebenermaßen etwas weit hergeholte Analogie könnte sie zum Einschlafen gebracht haben. Nein, sie hörte zu. Sie saß noch immer zusammengekauert auf der Couch, aber sie hörte zu.
    »Wenn du morgen als Zeugin aussagst, bist du das Licht, das auf Patrick Ghegan fällt,

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