Im Netz des Teufels
mit den Augen.
»Und bald sind wir Primaballerinas«, sagte Charlotte.
»Erstens heißt es Primaballerinen, und zweitens dauert das noch eine Weile«, warf Abby ein.
Michael nahm die Zeitung und versteckte sich dahinter.
»Los, Kinder. Stellt eure Teller ins Spülbecken und zieht euch an«, forderte Abby die Mädchen auf.
Als Abby den Zwillingen half, sich für den Ballettunterricht anzuziehen, warf Michael vier Aspirin ein, trank seinen Kaffee aus und überflog die Daily News . Er fand einen kurzen Artikel über den Prozess von Patrick Ghegan. Es war eine Zusammenfassung des Originalberichtes über den Mord an Colin Harris, der sowohl auf der Titelseite der Daily News als auch ihres erbitterten Rivalen, der New York Post, gestanden hatte. Sogar der »unerbittliche stellvertretende Bezirksstaatsanwalt Michael Roman« wurde erwähnt. Der Artikel stand zwar nicht auf der Titelseite und auch nicht auf der oberen Hälfte der Seite, aber er würde ihn dennoch aufbewahren.
Ein paar Minuten später kamen Charlotte und Emily wieder in die Küche. Sie trugen beide rosarote Gymnastikanzüge und weiße Daunenjacken, obwohl draußen fast fünfzehn Grad waren. Abby hatte es sich zur Regel gemacht, sie jedes Jahr ungefähr bis zum ersten Mai dick einzupacken. Schließlich war sie es auch, die sich um die Mädchen kümmerte, wenn sie erkältet waren und Halsschmerzen, Husten, Schnupfen und Ohrenentzündungen hatten.
»Lasst euch anschauen«, sagte Michael.
Charlotte und Emily hielten sich an der Tischkante fest, um die Balance nicht zu verlieren, als sie sich langsam im Kreis drehten und, so gut sie konnten, auf Zehenspitzen stellten.
»Meine hübschen Ballerinen.«
Die Mädchen umarmten Michael und gaben ihm einen Kuss. Abby nicht. Das sagte Michael alles, was er wissen musste über seine Degradierung in diesem Haus, in dem er nun nur noch als Pensionsgast mit Zimmer und Frühstück geduldet wurde.
Als Michael sah, dass Abby den Wagen aus der Einfahrt herausfuhr, nahm er sich vor, nicht nur Blumen, sondern auch eine Schachtel Godiva-Pralinen zu kaufen.
Gegen halb elf begriff Michael allmählich, welcher Tag heute war und was er alles zu tun hatte. Um zwei Uhr musste er im Gericht sein. Anschließend wollte er zur Newark Street fahren und überprüfen, ob es mit dem Büro voranging. Eine Gruppe befreundeter Anwälte aus Queens und Brooklyn eröffnete dort eine kleine Rechtshilfestelle, in der sie kostenlose Rechtsberatungen anbieten wollten. Michael bedauerte es schon, dass er angeboten hatte, bei der Renovierung, beim Streichen und bei der Möblierung der Räume zu helfen.
Er setzte sich an den Computer und loggte sich in die sichere Website der Bezirksstaatsanwaltschaft ein. Es schien eine recht ruhige Nacht gewesen zu sein. Außer zwei Raubüberfällen im 109. Revier und einem Brand in Forest Hills, bei dem Brandstiftung vermutet wurde, hatte es einen Mord gegeben. Eine Frau namens Jilliane Suzanne Murphy war in ihrer Wohnung erstochen worden. Es handelte sich um eine einundvierzigjährige Börsenmaklerin, geschieden, keine Kinder. Es gab keine Verdächtigen.
New York, dachte Michael, als er sich wieder ausloggte. Die Stadt, die niemals schlief.
Michael hatte gerade mit einem Bagel in der Hand das Haus verlassen, als sein Handy klingelte. Er schaute aufs LCD-Display. Es war eine unbekannte Nummer. Es war weder Abby noch das Büro. Wie wichtig konnte das sein?
Das Telefon klingelte noch immer, laut und hartnäckig und lästig. Sollte er rangehen oder nicht?, überlegte Michael. Er hatte wahnsinnige Kopfschmerzen.
Scheiße. Er ging ran.
»Hallo?«
»Michael?«
Eine vertraute Stimme, obwohl Michael sie nicht sofort einordnen konnte. »Ja. Wer ist da?«
»Michael, hier ist Max Priest.«
Der Name führte ihn zurück in die Vergangenheit. Er hatte seit fast fünf Jahren nicht mehr mit Priest gesprochen. Priest hatte für die Bezirksstaatsanwaltschaft einige Lauschangriffe und Überwachungsaktionen durchgeführt und mehr als ein Dutzend Informanten für Michael und sein Team verkabelt.
Damals hatte Michael Max Priest immer als sehr umsichtig und professionell eingestuft. Er hielt ihn für so offen und ehrlich, wie es bei der erforderlichen Anonymität in so einem Job möglich war.
Die beiden Männer hatten zwar einen guten Draht zueinander, aber sie hätten sich nicht als Freunde bezeichnet. Michael wunderte sich, woher Priest seine Handynummer hatte. Andererseits war es aber auch nicht wirklich verwunderlich,
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