Im Netz des Teufels
Augen nicht sehen. Er sah nur sein eigenes Gesicht in der Sportsonnenbrille des jungen Mannes. »Was er mir bezahlt? Wie zum Teufel kommen Sie auf die Idee, dass das hier nicht meine Idee ist? Mein Plan?«
Auf diese Idee war Michael noch nicht gekommen, und das aus gutem Grund. Es schien unmöglich. Er hatte sich von diesem Kerl ein sehr genaues Bild gemacht, und das war etwas, was er sehr gut konnte. Diese Fähigkeit hatte er sich in seinen ersten Jahren in der Bezirksstaatsanwaltschaft angeeignet, als er drei Dutzend Vernehmungen an einem einzigen Tag durchführen und sich in zehn Sekunden ein Bild von einem Angeklagten machen musste. Jedenfalls hatte der Typ Dreck unter den Fingernägeln und Schmiere und Motoröl auf der Kleidung. Er arbeitete in einer Werkstatt, und Michael hätte wetten können, dass es nicht sein eigener Wagenpark klassischer Sportwagen war, den er dort in Schuss hielt.
»Sie haben recht«, begann Michael in der Hoffnung, Kolya zu beschwichtigen. »Ich wollte Ihnen nicht auf die Füße treten. Ich hoffe nur, die Sache zahlt sich für Sie aus.«
Kolya öffnete das Fenster und warf die Zigarette hinaus. »Ihre Sorge rührt mich.« Er schloss das Fenster wieder. »Konzentrieren Sie sich jetzt aufs Fahren, und halten Sie die Schnauze, verdammt!«
Er griff in die Hosentasche, worauf die Jacke nach hinten rutschte und der Griff der Automatikwaffe sichtbar wurde. Sie steckte auf der rechten Seite unter dem Hosenbund seiner Jeans. Es würde Michael nicht gelingen, sie ihm zu entreißen. Der Typ war vielleicht ein Krimineller, aber er war nicht dumm. Er brauchte die Waffe, um Michael in Schach zu halten.
Zehn Minuten später fuhren sie in der Nähe der Pferderennbahn Belmont Park, im Osten von Hollis, von der Hempstead Avenue ab und auf den Parkplatz eines abgelegenen, privaten Motels namens Squires Inn.
Das Motel war L-förmig gebaut und ziemlich heruntergekommen. Auf dem Dach fehlten Ziegel, und der Asphalt auf dem Parkplatz war aufgerissen. Vielleicht hatte das Motel früher einmal zu einer Kette gehört, aber jetzt verfiel es allmählich. Michael fuhr den Wagen auf den Parkplatz und schaltete den Motor aus. Kolya beugte sich zu ihm hinüber und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss.
»Steigen Sie nicht aus«, befahl Kolya ihm. »Machen Sie gar nichts. Wenn Sie sich bewegen, rufe ich ihn an, und dann ist die Kacke am Dampfen.«
Kolya drehte sich um, nahm zwei große Lebensmitteltüten vom Rücksitz, stieg aus und lief den Weg hinunter. Vor dem Motelzimmer 118 blieb er stehen, zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloss das Zimmer auf. Michael wühlte in seinen Jackentaschen, obwohl Kolya ihn durchsucht und ihm die Haustürschlüssel, Wagenschlüssel, das Handy und die Brieftasche abgenommen hatte, ehe sie losgefahren waren. Nur die Uhr und den Ehering durfte er behalten. Michael beugte sich vor und versuchte, das Handschuhfach zu öffnen. Es war verschlossen. Sein Blick wanderte über die Rückbank, das Armaturenbrett und die Türfächer. Nichts. Er brauchte etwas, das er als Waffe benutzen und womit er die Oberhand gewinnen konnte, aber er fand nichts.
Eine Minute später trat Kolya vor die Tür des Zimmers, schaute nach links und rechts und ließ seinen Blick über den fast leeren Parkplatz schweifen. Er bedeutete Michael auszusteigen. Michael stieg aus und lief auf das Motelzimmer zu. Kolya schloss die Tür.
Die Einrichtung war typisch für ein Motel der untersten Preisklasse. Ein abgetretener, blaugrüner Teppichboden, Bettwäsche mit Blumenmuster, ein einfacher Schreibtisch, ein kleiner Fernseher auf einem Drehfuß. An der Decke über dem Bett war ein bräunlicher Kreis. Es musste kürzlich hereingeregnet haben. Das Wasser rauschte durch die Rohre in den Wänden. In dem Raum roch es nach Schimmel und Zigaretten.
Kolya verschloss die Tür. Er zeigte auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Setzen Sie sich hin.«
Michael zögerte kurz. Er war es nicht gewohnt, Befehle entgegenzunehmen, und schon gar nicht von Typen, die er normalerweise zu lebenslanger Haft verurteilte. Die Tatsache, dass dieser Mann eine 9-mm-Waffe besaß und seine Familie in der Gewalt hatte, überzeugte ihn. Er setzte sich auf den Stuhl.
Kolya schob die Gardine ein Stück zur Seite und spähte auf den Parkplatz. Dann zog er sein Handy heraus und gab eine Nummer ein. Nach einem kurzen Gespräch klappte er das Handy wieder zu, zog die Waffe unter dem Hosenbund hervor und richtete sie auf den Boden. »Kommen Sie
Weitere Kostenlose Bücher