Im Netz des Verbrechens
Auto.
Nein. Verdammt, nein!
Ich sehe zu Kay. Ich kann ihn doch nicht allein lassen.
Das Auto müht sich, aus der Parklücke zu kommen. Ich denke an Pawels Nachricht. Wenn er weiß, dass ich ein Verräter bin, hat er bestimmt schon jemand anderen gefunden, um den Job zu erledigen. Ich muss ihn aufhalten. Ich bilde mir ein, irgendwo in der Ferne eine Sirene zu hören.
»Hör zu. Der Notarzt ist gleich hier. Schaffst du es allein?«
Er nickt. Ich glaube ihm nicht. Und stehe trotzdem auf.
Dieser Tag ist noch nicht vorbei.
22
Makars Körper sackte zu Boden. Juna duckte sich hinter eine Säule, schaltete ihre Lampe aus und beobachtete, wie Makars Taschenlampe über den Boden rollte und einen Kreis beschrieb. Sie sah seinen Kopf. Die Augen, die ins Leere starrten. In der Stirn – ein sauberes Loch. Dafür fehlte ihm fast der gesamte Hinterkopf.
Ihr Magen krampfte. Sie schluckte. Noch einmal. Und noch ein Mal. Nur mit Mühe gelang es ihr, die Übelkeit zu unterdrücken. Mit dem Ärmel ihrer Bluse wischte sie sich über das Gesicht und riskierte einen Blick hinter der Säule hervor. In der Dunkelheit konnte sie nicht das Geringste sehen. Aber irgendwo da vorne – da war eine weitere Treppe. Sollte sie nach unten? Jedenfalls weg von der Etage, auf der ein Killer lauerte. Sie musste es einfach versuchen, denn hier würde der Schütze sie kriegen.
Sie lief.
Zwölf Schritte, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen.
Er konnte sie sehen, irgendwo da in der Dunkelheit konnte er sie bestimmt sehen. Doch der Schuss, den sie jede Sekunde erwartete, kam nicht. Sie prallte gegen die Wand, tastete herum, fand die Klinke. Drücken. Raus. Die Taschenlampe einschalten. Die Stufen. Nach unten, schnell nach unten, bis zum Erdgeschoss. Folgte ihr jemand? Ihr Atem – viel zu laut.
Verdammt, sie hätte Makars Waffe mitnehmen sollen!
Sie erreichte das Erdgeschoss, doch es war nicht die Eingangshalle. Zum Teufel, wo war sie? Und wie kam sie hier wieder raus? Die Fenster? Waren alle verschlossen, und sie wollte keinen Lärm riskieren beim Versuch, eines aufzuschlagen.
Ein Weilchen irrte sie durch die Gänge, die sich wie Ameisentunnel durch das Gebäudeinnere fraßen. Endlich schlüpfte sie in einen breiten Gang und fühlte kühlen, polierten Steinboden unter den Füßen.
Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Irgendwo in der Nähe hörte sie ein Geräusch. Ein Schluchzen. Sie tastete die Umgebung mit der Taschenlampe ab. Das Licht blieb an einer zu einem Spalt geöffneten Tür hängen. Das Schluchzen verstummte, aber sie hatte noch gehört, wie jemand ängstlich nach Luft schnappte.
Schritt für Schritt näherte sie sich dem Spalt. Ein Killer würde nicht schluchzen. Vielleicht war jemand verletzt und brauchte Hilfe. Sie konnte nicht fortlaufen, nicht einfach so, als hätte sie nichts gehört.
Sie stieß die Tür mit dem Fuß auf und ging in Deckung. Niemand schoss.
Du solltest von hier verschwinden und das Album in Sicherheit bringen. Das hätte ihr Vater ohne Zweifel getan. Aber ihrwaren die Menschen noch nie wie stroherne Opferhunde.
Sie trat hinein. Das Licht ihrer Taschenlampe tastete hektisch die Umgebung ab und stieß in der Ecke auf einen zusammengekrümmten Körper. Unter dem Wirrwarr der blonden Korkenzieherlocken kam ein Wimmern, das verloren durch den Raum zitterte.
»Pyschka!«, rief sie schrill und lief hin. »Pyschka. Wie bist du hierher gekommen? Ich glaube es nicht. Du bist es! Pyschka!«
Das Wimmern wurde heftiger. Das Mädchen wandte ihr das Gesicht zu. Die roten, angeschwollenen Augen sahen Juna voller Tränen an. Die Lippe war am Mundwinkel geplatzt, auf der linken Wange prangte auf der milchigen Haut ein dunkler Fleck. »Juna … Junotschka … du hattest recht. Pawel … er ist böse … Er hat mich hierher gebracht. Er sagte, er tötet mich, wenn ich ihm nicht helfe. Er sagte, sie würden mich reinlassen. Weil ich deine Freundin bin. Die Sicherheitsleute – er hat sie einfach umgebracht! Erschossen. Es war so furchtbar. Ich bin ihm entwischt und habe mich hier versteckt. Juna. Er wird kommen. Er wird uns töten! Juna! Ich glaube, ich habe gesehen, wie er deinen Vater umgebracht hat. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen!«
»Psch.« Sie drückte den zitternden Körper ihrer Freundin an sich, streichelte den gekrümmten Rücken. »Psch, alles wird gut. Wir schaffen das. Wo ist er? Ist er allein?«
Pyschkas Schluchzen, das kurz zuvor noch versiegt zu sein schien, entfaltete sich mit neuer Kraft,
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