Im Netz des Verbrechens
oder die Zeit dafür. Wo war er nur?
Paschik reichte ihr eines der Gläser. »Gut.«
Sie nahm es, um es sogleich auf dem Tisch abzustellen. Es war kein Kagor . Nicht einmal in seinen Augen. »Nett, dich hier zu treffen.«
»Ja.« Er kippte seinen Whisky runter wie den letzten Fusel, obwohl er stets proklamiert hatte, dass man so etwas Gutes und Teueres genießen, das Bukett Schottlands mitsamt Kulturgeschichte entsprechend würdigen sollte. Jetzt rutschte die Kulturgeschichte seinen Rachen hinunter und ließ ihn husten. »Stell dir meine Überraschung vor, dich hier zu treffen.« Er machte wieder ein paar hastige Schritte, dirigierte seine Rede mit dem Glas in der Hand: »Juna, Juna, wenn du nur wüsstest, was für Kummer du uns bereitet hast! Wir sind fast verrückt vor Sorge um dich geworden. Und dann tauchst du, mir nichts dir nichts, hier auf. Wie bist du nur hierher gekommen? Wer hat dir von meinem Club erzählt? Ehrlich, ich verstehe nicht, wie du hierherkommst!«
»Uns?«
Er schwenkte die Flasche und schenkte sich noch einen Schluck nach. »Deinem Vater und mir.«
Seine Worte fuhren durch ihr Inneres wie ein kalter Atem. »Du kennst meinen Vater?«
Zum Teufel mit Kagor . Jetzt brauchte sie wirklich etwas Stärkeres. Aus einem Impuls heraus griff sie nach dem Whisky, sie hatte das Glas bereits an die Lippen geführt, als sie innehielt. Sie stellte es zurück und schloss kurz die Augen. Einatmen . Ausatmen . Stehen wie ein Baum und nichts an sich heranlassen.
Ja, das war eindeutig besser als Alkohol.
Paschik lächelte ihr über seinen Glasrand hinweg zu. Wenn er es ehrlich meinte, erschienen auf seinen Wangen Grübchen, die sämtliche Frauen in seiner Umgebung regelmäßig dazu verleitet hatten, tief aufzuseufzen. Aber Juna hatte schon lange aufgehört, bei seinem Anblick zu seufzen. »Du kennst meinen Vater«, wiederholte sie und dieses Mal war es keine Frage.
»Aber natürlich.«
»Wenn du so locker von ihm sprichst, hast du keine Ahnung.«
»Ich weiß genug. Soll ich es dir beweisen? Mal sehen … Also: Er hat Physik studiert; wenn ich mich nicht irre, an der gleichen Universität wie du, sein Studium schloss er mit Auszeichnung ab. Schließlich ging er nach Moskau und gehörte unter Chodorkowski zur Leitung des Zentrums für wissenschaftlich-technisches Schöpfertum der Jugendstiftung für Jugendinitiative . Genau dort begann auch sein Aufstieg. In der Raubritterphase der Perestroika hat er Millionen über Millionen angehäuft und zählte zu den einflussreichsten Menschen Russlands der Jelzin-Ära. Aber er blieb immer im Schatten, obwohl sein Einfluss weit reichte. 1996 soll er Jelzin angeblich die Wiederwahl gesichert haben, zwar nicht allein, aber er hat einen nicht unwesentlichen Beitrag dazu geleistet. Vor allem, indem er einige unangenehme Kontrahenten kaltstellen ließ. Man munkelte, nicht einmal Putin konnte ihm etwas anhaben, obwohl er die anderen Unterstützer seines Vorgängers einen nach dem anderen aus dem Weg geräumt hatte.
Und dann ist dein Vater urplötzlich von der Bildfläche verschwunden. Keiner wusste, wo er war oder was er die ganze Zeit gemacht hat. Man redete so einiges. Dass es Putin doch noch gelungen war, ihn loszuwerden.« Er prostete ihr mit dem Whisky zu. »Oder dass er etwas Gewaltiges ausheckte. Seitdem kommt keiner an ihn ran.«
»Und das alles wusstest du schon, als wir beide zusammen waren?«
»Sicher.«
Woher? Ihr Inneres schien zu vibrieren und ihre Balance zu zerrütten, die rastlosen Gedanken rissen das Yin und Yang auseinander.
»Du wusstest alles und hast mir nichts gesagt? Hast die ganze Zeit so getan, als würdest du mit einem x-beliebigen Mädchen ausgehen?«
Okay, die ganze Zeit waren aber nur ein paar Wochen gewesen, zügelte sie sich. Und hätte sie nicht alles dafür gegeben, ein x-beliebiges Mädchen zu sein? Paschik hatte bloß nach ihren Regeln gespielt, oder nicht?
Seine kühlen Finger streiften ihre Wange. »Es ist mir vollkommen egal, wer dein Vater ist. Beruhige dich, Juna. Du kannst mir vertrauen.«
Vertrauen. Das hatte Oleg auch gesagt. Und Nick. Schwermütig blickte sie auf das Meerschweinchen in seinem Glaskasten.
Paschik leerte das Glas, räusperte sich und schenkte sich erneut ein. Seine Stimme klang weich, leierte ein wenig, und das verrückte Nautilus-Pompilius-Lied wollte ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen:
Alain Delon trinkt kein Eau de Cologne;
Alain Delon trinkt doppelten Bourbon.
In diesem Fall schottischen Whisky.
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