Im Notfall Buch aufschlagen: Tipps für alle möglichen Katastrophen (German Edition)
Wall-Street-Erfahrung und kein Elitestudium im Lebenslauf hat. Comic-Krawatte und ein schlecht sitzendes Sakko sind gute Zeichen, dass der Typ mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Im Zeitalter der Unsicherheit ist der Buchhalter der neue Held.
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26. Rocker DIE WIKINGER DER A8
Wie man die Hells Angels zur Hölle schickt.
In den vergangenen fünf Jahrzehnten mussten Männer lernen, dass man Streit mit Worten und nicht mit Fäusten austrägt und statt dem Motor lieber die eigene Matte frisiert. Nur wenige Mitglieder des starken Geschlechts kamen mit diesem radikalen Modernisierungs- und Zivilisierungsschub nicht zurecht, zogen sich aus der Gesellschaft zurück und versuchten, in einer Selbsthilfegruppe mit dem Namen Hells Angels die Werte, den Look und die Verhaltensformen längst vergangener Zeiten zu konservieren. Mit den langen Haaren, den Walrossbärten und den breiten Schultern in Kutten und Lederjacken ähneln die Höllenengel einer Bande motorisierter Wikinger, die auf ihren rollenden Schlachtschiffen und Betonflüssen unterwegs sind, um überall im Land Angst und Schrecken zu verbreiten.
Nachdem der Film Werner in den neunziger Jahren ein etwas verharmlosendes Bild der Rockerszene gezeichnet hatte, sieht man die Motorradgangs nun zunehmend mit kritischem Blick. Zeitungen titeln «Rockerbanden immer brutaler», die Innenminister der Länder sprechen von organisierter Kriminalität und fordern ein Verbot der Hells Angels und ähnlicher Motorrad-Clubs. Im Jahr 2009 gab es 360 Strafverfahren gegen 880 Tatverdächtige aus dem Rockermilieu. 2010 erschoss ein Hells-Angels-Mitglied gar einen Polizisten. Wie gefährlich die Hells Angels wirklich sind? Nun, das hängt ganz davon ab, zu welcher Zielgruppe Sie gehören!
Sie sind ein Politiker: Prima! Ein Verbotsverfahren gegen die Hells Angels ist äußerst schwierig, die Höllenengel haben die besten Anwälte, und es ist so gut wie unmöglich, ihnen organisierte Kriminalität nachzuweisen. Aber das muss kein Problem sein: Vielleicht sollten Sie einfach den umgekehrten Weg gehen und die Hells Angels trotz aller Drogen- und Gewaltdelikte nicht verfolgen, sondern versuchen, sie für ihre Zwecke einzuspannen. In Hannover hat der HA-Ortsgruppenchef Frank Hanebuth die lokale Rotlichtmeile übernommen und zu einem familienfreundlichen Vergnügungsviertel ausgebaut. Die Behörden sind begeistert.
Hanebuth, der wegen versuchtem Totschlag drei Jahre im Gefängnis saß, hat sich nach eigenen Angaben einfach mit den als äußerst brutal geltenden Albaner- und Kurdenbanden, die früher mit Maschinenpistolen um die Vorherrschaft im Kiez kämpften, an einen Tisch gesetzt und ein paar «gute Gespräche» geführt. Seitdem herrscht Ruhe in Hannover. Rocker sind offenbar eindrucksvolle Gesprächspartner. Einen Verdienstorden hat Hanebuth nicht zu erwarten. Ärger mit der Polizei aber auch nicht. Womöglich hilft es auch, dass er ein guter Freund des Staranwalts Götz-Werner von Fromberg ist, der sich früher eine Kanzlei mit Gerhard Schröder teilte und ein überaus erfolgreicher Netzwerker ist.
Sie sind Zivilist: Kein Problem! Gewöhnen Sie sich daran, dass Ihnen in Zukunft öfter Rockerbanden über den Weg laufen (fahren), denn die einschlägigen Clubs haben mindestens 6000 Mitglieder in Deutschland und betreiben, um im Kampf mit anderen Rockerbanden bestehen zu können, offensive Manpower-Akquise. Als Zivilist haben Sie von den Rockern trotz deren martialischem Auftreten nur wenig zu fürchten. Gut die Hälfte aller Hells-Angels-Mitglieder ist vorbestraft, und wer nur auf Bewährung auf freiem Fuß ist oder einen schlechten Ruf beim Amtsgericht hat, verspürt normalerweise keine Lust, sich mit glotzenden Passanten oder Tankstellenbesuchern anzulegen. Gefährlicher ist die Begegnung im Nachtleben. Die Hells Angels, so sagen Insider, handeln nicht nur mit Drogen, sondern konsumieren sie auch gerne selbst. Kokain aber macht aggressiv, und viele Mitglieder fühlen sich noch alten Ehrritualen und Machogesten verbunden. Sprechen Sie also lieber nicht die Freundin eines Rockers in der Disco an oder fragen ihn, wann er das letzte Mal beim Coiffeur war. Sogar Lutz Schelhorn, der Präsident der Stuttgarter Hells Angels, der immer vorgeschickt wird, wenn der Club ein Mindestmaß an Seriosität und pazifistischer Gesinnung simulieren will, sagt ganz offen: «Wenn mir einer blöd kommt, dann sag ich: ‹Hau ab.› Beim zweiten Mal sag ich es nochmal. Beim dritten Mal
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