Im Paradies deiner Kuesse
sie tun.
Allegra tauchte ihre Feldflasche in das dunkle Wasser des kleinen Tümpels und beobachtete, wie die Blasen an die Oberfläche stiegen. Ungeduldig wartete sie, bis die Flasche voll war. Doch als sie trinken wollte, rief Finn plötzlich: „Nein!“, und riss sie ihr aus der Hand. Erschrocken blickte sie ihn an.
„Das Wasser muss erst abgekocht werden“, erklärte er sanft.
„Aber … heute … morgen“, begann sie stockend.
„Das war Regenwasser. Da gelten andere Regeln.“
Obwohl sie keine Ahnung hatte, wovon er sprach, nickte sie. Mehr würde sie sowieso nicht herausbringen, wenn er so dicht neben ihr stand, dass sie seine Körperwärme spüren konnte.
Gestern Abend hatte Finn sämtliche verfügbaren Gefäße und ausgehöhlten Bambusstäbe mit einem zusammengerollten Palmblatt versehen und in den Regen gestellt. Die Blätter dienten als Trichter und halfen, eine größere Menge Wasser einzufangen. Doch in der tropischen Hitze waren diese Vorräte bald aufgebraucht. Und es sah nicht so aus, als würde es bald wieder regnen.
Beschämt betrachtete Allegra die Feldflasche in Finns Hand. Wenn er sie nicht vom Trinken abgehalten hätte, wäre sie jetzt womöglich in großen Schwierigkeiten. Wer wusste schon, welche gefährlichen Bakterien in dem ungereinigten Wasser lauerten? Dieser Zwischenfall zeigte nur einmal mehr, wie wenig sie sich in der freien Natur auskannte. Und wie sehr sie Finns Hilfe brauchte.
Vielleicht hatte er sie angewiesen, dieses Wasser nicht zu trinken. Aber wie sollte sie sich all das merken, wenn ihre Gedanken jedes Mal abschweiften, sobald er sie ansah?
„Entschuldigen Sie bitte“, sagte Finn und zwinkerte ihr zu. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.
Allegra errötete und schüttelte nur den Kopf. Ob sie in seiner Gegenwart wohl irgendwann einmal einen vernünftigen Satz herausbringen würde?
Glücklicherweise schien er ihre Einsilbigkeit nicht zu bemerken. Und Dave und der Rest des Teams machten gerade Naturaufnahmen, sodass dieser peinliche Moment ausnahmsweise nicht für die Nachwelt festgehalten wurde.
Seit heute früh waren der Produzent Simon, ein weiterer Kameramann, an dessen Namen Allegra sich beim besten Willen nicht erinnern konnte, sowie ein Sicherheitsexperte namens Tim mit von der Partie. Fast schon zu viele Menschen für diese kleine Insel!
Einige Minuten später blieb Finn plötzlich stehen, klopfte prüfend an den dicken Stamm einer Palme und begann ohne Vorwarnung, mit seiner Machete darauf einzuhacken. Fasziniert beobachte Allegra ihn dabei. Schließlich brach er die Palme um. Sofort begann der hohle Stumpf sich mit klarem Wasser zu füllen.
„Hier“, sagte er mit einer einladenden Geste. „Wenn Sie Durst haben, können Sie das unbesorgt trinken.“
Beeindruckt beugte sie sich über den Baumstumpf und schöpfte mit der Hand etwas Flüssigkeit an ihre Lippen. Herrlich! Etwas Erfrischenderes hatte sie noch nie in ihrem Leben getrunken! Als sie ihren Durst gestillt hatte, trank auch Finn.
Wie lieb er sich um mich kümmert, dachte Allegra und versuchte vergeblich, die Gefühle unter Kontrolle zu bringen, die er in ihr weckte. Sie wusste ja, dass er vergeben war. Nach dieser Woche würden sie sich vermutlich nie wiedersehen. Aber diese eine Woche würde sie in seiner Nähe verbringen. Und sie war fest entschlossen, jede Sekunde zu genießen. Ehe sie nach London zurückmusste. In das Chaos, das sie angerichtet hatte.
Sei vorsichtig, warnte eine innere Stimme. Doch Allegra ahnte, dass es für Vorsicht längst zu spät war. Vorsichtig hätte sie sein müssen, als sie feststellte, dass Finn McLeod in Wirklichkeit noch so viel mehr zu bieten hatte als in ihren Fantasievorstellungen.
Die Schwärmerei hatte sie jedenfalls hinter sich gelassen. Und im Augenblick hatte sie nicht die leiseste Ahnung, was vor ihr lag. Außer dass sie sich auf einmal jung und energiegeladen fühlte. Ängstlich und risikofreudig zugleich. Und dass sie keine andere Wahl hatte, als Finn zu folgen, bis die Reise ihr unausweichliches Ende nahm.
„Besser?“, riss seine Stimme sie aus den Gedanken.
„Viel besser! Wie lange brauchen wir noch bis zur Hütte?“
Nachdenklich blickte Finn sich um. Während er die noch verbleibende Entfernung abzuschätzen versuchte, meldete sich ihr Magen lautstark und alles andere als ladylike zu Wort.
„Ungefähr eine Stunde“, erwiderte er lächelnd. „Aber wir sehen mal, ob wir nicht schon unterwegs etwas zu essen finden.“
6.
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