Im Reich der Vogelmenschen
Fischmenschen.
Das Wasser war köstlich warm, es wurde sanft von seinen Kiemen eingesogen und ausgestoßen. Daß er überhaupt davon Kenntnis nahm, beruhte darauf, daß er seinen Verstand zwang, sich mit der Tatsache vertraut zu machen, daß er als menschliches Wesen wie ein Fisch unter Wasser schwamm. Nach einer Minute war ihm diese Vorstellung so zur Selbstverständlichkeit geworden, daß er nicht mehr darüber nachdachte, wie man sich auch über das Schlagen des Herzens keine Gedanken macht.
Seine Aufmerksamkeit wandte sich dem tatsächlichen Geschehen zu. Er fragte sich, wohin diese Wassermenschen strebten. Sein Eindruck, daß ihre wachsame Aufmerksamkeit sich auf Vorgänge in der Dunkelheit der weiter vor ihm liegenden See konzentrierte, verstärkte sich.
Ihm war, als hätte diese Feststellung das Stichwort gegeben. Aus dem nächtlichen Wasser stieg ein seltsamer Schrei. Er entstammte einer menschlichen Kehle, ein Laut, der durch das wäßrige Element geformt wurde, wunderbar lebendig und kräftig in seiner durchdringenden Stärke. Obwohl die Worte sich von der Sprache der Vogelmenschen erheblich unterschieden, verstand Kenlon jede Silbe.
Es war eine Warnung.
»Er kommt!« rief die Stimme. »Seid bereit!«
Er fühlte, wie seine Hand über das lange Messer tastete, das er in einer Scheide an seiner Hüfte trug. In der Dunkelheit voraus nahm er ein matt schimmerndes Blitzen wahr. Ein Fisch, dachte Kenlon, ein großer Fisch. Wenigstens zwanzig Fuß lang. Ein Hai! Und er befand sich in einer Jagdgruppe.
Ein großer, starker Fisch. Er kam in volle Sicht, schien beim Anblick der im Halbkreis auf ihn wartenden Gestalten zu zögern, schnellte sich dann zwischen Kenlons Körper und den des neben ihm schwimmenden Fischmenschen.
Schneller als der Hai schoß der Fischmensch nach oben. Und sie hatten ihn. Kenlons Arm schloß sich wie eine Klammer um den dicken, festen Körper, dicht vor der düsteren Dreiecksflosse auf dem harten Rücken. Sein langes Messer zischte geschmeidig in den weichen weißen Leib.
Andere Messer vollendeten das Werk. Das wilde Schlagen des Haies erstarb endlich. Die wilde Bestie der See drehte sich langsam um ihre Längsachse, die zerfetzte Unterseite nach oben gerichtet. Der tote Körper ruhte reglos im Wasser.
Nein, nicht reglos. Er gab dem Druck der Strömung nach und begann langsam in die Richtung zu treiben, aus der er gekommen war. Kenlon klomm hinauf, schloß die Beine fest um den Rumpf und ließ sich mittreiben. Wenige Sekunden später waren seine Begleiter nicht mehr zu sehen. Er war allein mit dem toten Fisch, von der Strömung einem unbekannten Ziel entgegengetragen.
Die Dunkelheit hielt nicht lange an. In der Ferne gewahrte Kenlon einen helleren Schimmer. Für einen verrückten Augenblick glaubte er, die Dimensionen verwechselt zu haben, die Sonne vor sich zu haben. Die Illusion endete, als das helle Glimmen sich verbreiterte und zu einem weiten erleuchteten Gebiet ausdehnte.
Die Stadt unter der See kam majestätisch in Sicht.
Es war unmöglich, einen guten Blick auf sie zu werfen. Das Wesen, dessen Körper Kenlon teilte, schien nichts Außergewöhnliches daran zu finden; der Mann nahm einfach keine Notiz. Er begann heftig zu paddeln, als sie sich der Stadt näherten, was Kenlons Beobachtungen noch mehr erschwerte. Hinzu kamen seine Bemühungen, sich aus der Strömung zu lösen, die ihn und den toten Hai gepackt hatte.
Es gelang ihm, offensichtlich mit vollem Erfolg, denn eine Minute später hatte er den Hai in eine Wasserschleuse innerhalb der durchsichtigen Mauer der Stadt dirigiert und zwängte sich nach ihm hinein. Das Tor schloß sich, eine Pumpe begann zu arbeiten. Sobald das Wasser verschwunden war, öffnete sich eine innere Tür, und Kenlon trat hindurch.
Er war in der Stadt unter der See.
*
Kenlon hatte das Gefühl, starke Erregung spüren zu müssen. Er befand sich tatsächlich in der Stadt der Fischmenschen. Er war hier, um sich umzusehen, zu prüfen und zu begutachten. Nach einer Sekunde meldeten seine Nerven noch immer keine sonderliche Erregung. Die Erinnerung kam ihm, wie ruhig er nach dem ersten Schreck auf die Erfahrung, sich im Körper eines Vogelmenschen wiederzufinden, reagiert hatte. Er fühlte sich wie ein Zuschauer, der sich seiner Beobachtungen klar wurde, ohne sonderlich aus dem Gleichgewicht zu geraten. Die Tatsache, daß er sich in den Mauern der Stadt befand, ließ ihn ziemlich kalt. Diese Reaktion arbeitete zu seinen Gunsten. Der
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