Im Reich des Vampirs
umbringen.« Ich hörte einen Mann im Hintergrund lachen.
Die Verbindung brach ab.
»Du siehst sie auch«, sagte ich leise, als ich mich neben einem sommersprossigen, rothaarigen Mädchen auf einer Bank niederlieÃ.
Ich hatte eine Sidhe-Seherin auf dem Trinity-Campus gefunden â ein Mädchen wie ich.
Auf dem Rückweg zum Buchladen hatte sich das Wetter aufgeklart, also machte ich diesen Umweg über das College-Gelände, um die Menschen zu beobachten. Obwohl die Sonne nur schwach durch die Wolken schien, war eswarm genug, dass die Leute auf die Grünanlagen strömten, einige lasen, andere plauderten und lachten.
Wenn Ihnen ein Feenwesen begegnet, hatte mir Barrons empfohlen, wenden Sie den Blick ab und schauen Sie sich die anderen Leute an.
Das hatte sich als kluger Rat erwiesen. Mich kostete es etwa zwei Stunden, aber schlieÃlich entdeckte ich sie. Es half, dass sich so viele Feenwesen in der Stadt herumtrieben. Wie es schien, kam etwa jede halbe Stunde ein Rhino-Boy mit einem Schützling vorbei. Oder ich sah etwas ganz Neues wie das Ding, das wir beide verstohlen beobachteten.
Das junge Mädchen schaute von dem Buch auf und bedachte mich mit einem perfekt verständnislosen Blick. Ein Kranz aus roten Locken umrahmte ihre feinen Züge â eine kleine gerade Nase, einen Rosenknospen-Mund, ein keckes Kinn. Ich schätzte sie auf vierzehn, höchstens fünfzehn Jahre und ihre Sidhe -Seher-Fassade war nahezu fehlerlos. Ich kam mir vor wie eine taktlose Stümperin. Hatte sie das alles ganz allein gelernt oder hatte es ihr jemand beigebracht?
»Entschuldigung â wie bitte?«, sagte sie mit einem unschuldigen Blinzeln.
Ich schaute zu dem Feenwesen. Es lag ausgestreckt auf dem Rand eines Springbrunnens, als wollte es die spärlichen Sonnenstrahlen in sich aufsaugen. Es war schlank, fast durchsichtig, schön. Wie diese romantischen, transparenten Darstellungen von Feen, die in der heutigen Kultur so populär waren â mit einem feinen Haargespinst, einem zarten Gesicht und einem zierlichen jungenhaften Körper mit kleinen Brüsten. Es war nackt und hatte sich gar nicht die Mühe gemacht, sich in Glamour zu hüllen. Warum auch? Die Normalsterblichen konnten es nicht sehen, und laut Barrons glaubten viele der Feenwesen, dass die Sidhe -Seherschon längst ausgestorben seien oder nur noch ganz vereinzelt existierten.
Ich schlug mein Tagebuch auf und zeigte dem Mädchen die Skizze, die ich von dem Wesen gemacht hatte.
Sie schreckte zurück, klappte das Buch zu und funkelte mich an. »Wie kannst du es wagen? Wenn du dich selbst in Gefahr bringen willst â bitte schön, aber zieh mich bloà nicht da mit hinein!« Sie schnappte sich ihr Buch, Rucksack und Regenschirm, sprang auf und flitzte mit katzenhafter Anmut los.
Ich lief ihr nach, denn ich hatte eine Million Fragen. Ich wollte wissen, wie sie erfahren hatte, was sie ist, wer sie unterrichtet hatte und ob ich diese Person treffen konnte. Ich wollte mehr über mein Erbe hören, und zwar nicht von Barrons, der seine eigenen Pläne verfolgte. Wem machte ich etwas vor? Ich war einsam in dieser Stadt, und selbst wenn das Mädchen viel jünger war als ich, könnte ich sie als Freundin gut gebrauchen.
Ich war eine gute Sprinterin. Und es war günstig, dass ich Tennisschuhe trug und sie Sandalen. Sie rannte eine StraÃe nach der anderen entlang, zwängte sich durch Touristen und StraÃenhändler, und ich holte immer mehr auf, bis sie schlieÃlich in eine Gasse abtauchte, stehen blieb und zu mir herumwirbelte. Sie schleuderte ihre feurigen Locken über die Schultern und funkelte mich aus grün-goldenen Katzenaugen an. Dann sah sie sich blitzschnell um, checkte die Gasse, den Bürgersteig, die Mauern, Dächer und den Himmel.
»Den Himmel?« Ich runzelte die Stirn â das gefiel mir gar nicht. »Warum?«
»Verdammt, wie hast du so lange überlebt?«
Sie war zu jung, um zu fluchen. »Halt deine Zunge im Zaum. Meine Mutter würde dir den Mund mit Seife auswaschen.«
Sie blitzte mich streitlustig an. » Meine Mum hätte dich der Ratsversammlung übergeben und dafür gesorgt, dass man dich wegsperrt, weil du eine Gefahr für dich selbst und andere darstellst.«
»Ratsversammlung? Was für eine Ratsversammlung?« War das möglich? Gab es doch so viele von uns? Waren sie organisiert wie in alten
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