Im Reich des Vampirs
besitzt?«
»Das ist nicht fair, meine Sidhe-Seher-Sinne als Argument anzuführen, um mich zu einem Verbrechen zu bewegen.«
»Das Leben ist nicht fair, Miss Lane. Und zufällig stecken Sie ohnehin schon bis über beide Ohren in verbrecherischen Machenschaften. Gewöhnen Sie sich daran.«
»Und wenn wir erwischt werden? Man könnte mich einsperren. Ich könnte im Gefängnis enden.« Das würde ich nicht überleben. Die langweiligen Häftlingsklamotten, das Grau in Grau, der Alltagstrott der Inhaftierten â das würde mich innerhalb weniger Wochen umbringen.
»Ich befreie Sie«, erwiderte Barrons trocken.
»Toll. Und dann führe ich ein Leben auf der Flucht.«
»Das tun Sie bereits, Miss Lane. Und zwar seit dem Tod Ihrer Schwester.« Er drehte sich um und verschwand durch die Verbindungstür.
Ich sah ihm entgeistert nach. Gab es etwas, was Barrons nicht wusste? Mir war klar, dass ich seither vor etwas davonlief, aber woher wusste er das?
Seit dem Mord an Alina fühlte ich mich zunehmend unsichtbar. Meine Eltern hatten mich nicht mehr wahrgenommen. Und ich ertappte sie immer öfter dabei, wie sie mich mit herzzerreiÃender Sehnsucht und Schmerz betrachteten; mir war bewusst, dass sie Alina in mir sahen â das Gesicht,die Haare, die Gesten. Sie suchten meine Schwester in mir, beschworen ihren Geist herauf.
Ich hatte aufgehört zu existieren. Ich war nicht mehr Mac.
Ich war diejenige, die weiterlebte.
Barrons hatte recht. Gerechtigkeit und Rache waren nur ein Teil meiner Motivation, Ashford zu verlassen. Ich war vor der Trauer, dem Schmerz meiner Eltern davongelaufen; ich wollte nicht der Schatten einer anderen Person sein, wegen eines schrecklichen Verlustes geliebt werden, und Irland war nicht annähernd weit genug von zu Hause weg.
Das Schlimmste daran war, dass ich jetzt in einem tödlichen Marathon gefangen war, um mein Leben lief und verzweifelt versuchte, einen Schritt vor den Monstern zu bleiben, die mich jagten. Und die Ziellinie war weit und breit nicht in Sicht.
Neun
Mir blieb noch ein Tag, um Alinas Apartment auszuräumen. Um Mitternacht mussten alle Habseligkeiten von Alina aus der Wohnung sein, sonst hatte der Vermieter das Recht, sie auf die StraÃe zu stellen. Ich hatte die Kisten bereits vor Wochen gepackt und musste sie nur noch zur Tür zerren, ein Taxi rufen und einen kleinen Aufschlag zahlen, damit mir der Fahrer half, sie ein- und beim Buchladen wieder auszuladen, dort wollte ich sie ordentlich einpacken und anschlieÃend nach Hause schicken.
Ich konnte kaum glauben, dass die Zeit so schnell vergangen war, aber ich hatte gegen Monster kämpfen, eine Polizeibefragung über mich ergehen lassen, einen Friedhof absuchen, den Bruder eines Mafioso vor dem sicheren Tod bewahren, mich in einen neuen Job einarbeiten und an einer illegalen Auktion teilnehmen müssen.
Es war ehrlich ein Wunder, dass ich überhaupt noch etwas fertigbrachte.
Am Sonntag, dem 31 . August â dem Tag, an dem Alina mit gepackten Sachen auf ein Taxi, das sie zum Flughafen brachte, warten und endlich nach Hause zu mir und den endlosen Strandpartys in Georgia fliegen sollte â, stand ich mit triefendem Regenschirm auf dem Treppenabsatz und trat mir die Schuhe auf der Matte vor ihrer Wohnungstür ab. Ich verharrte einige Minuten, atmete tief durch undsuchte nach meiner Puderdose, um mir ein Körnchen aus dem Auge zu entfernen, das es zum Tränen brachte.
Alinas Apartment befand sich über einem Pub im Temple-Bar-Bezirk, nicht weit vom Trinity College entfernt, wo sie studiert hatte, zumindest in den ersten Monaten hatte sie noch regelmäÃig die Vorlesungen besucht, ehe sie anfing, Gewicht zu verlieren, gestresst auszusehen und sich eigenartig zu benehmen.
Es war verständlich, dass ich vergessen hatte, ihre Wohnung auszuräumen, aber jetzt, da ich vor ihrer Tür stand, konnte ich nicht fassen, dass ich ihr Tagebuch vergessen hatte. Alina war geradezu abhängig von ihrem Tagebuch. Ohne konnte sie nicht leben. Sie hatte, seit sie schreiben konnte, ein Tagebuch geführt und nie auch nur einen Tag ausgelassen. Ich weià das, weil ich immer ihr Zimmer durchstöbert und die Einträge heimlich gelesen hatte, um meine Schwester dann mit ihren Geheimnissen zu quälen, die sie lieber einem blöden Buch statt mir anvertraut hatte. Während ihres Auslandsaufenthaltes hatte sie ihre
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