Im Rhythmus der Leidneschaft
ein Medaillon mit dem Bild des heiligen Christophorus, das sie allerdings nie an J. D. gesehen hatte. Während der Beerdigung hatte sie J. D.s alten Holzfällerhut umklammert, den er nur deshalb so oft getragen hatte, weil sie die Ohrenklappen daran immer albern gefunden hatte.
Jetzt hatte sie sich angewöhnt, den alten Hut selbst zu tragen. Sie zog auch J. D.s Hemden an, weil sein Duft noch darin hing.
Wie schon so oft in letzter Zeit wanderte Susannah ziellos durch das Haus, zupfte an den Saiten der Gitarren und spielte die wenigen Songs, die J. D. ihr beigebracht hatte.
Wieder klingelte das Telefon, und sie gab auf und nahm den Hörer ab. „Behandelt mich nicht wie eine Kranke“, beschwerte sie sich, bevor der Anrufer sich melden konnte. „Mir geht’s gut.“
„Das sieht in meiner Kristallkugel aber anders aus, Liebes. Wenn dir etwas an deiner Zukunft liegt, solltest du lieber nicht auflegen.“
Mama Ambrosia! Das war nicht ihr erster Anruf. Mama Ambrosia war eine große dicke Frau mit tiefer heiserer Stimme, das Ergebnis jahrzehntelangen Kettenrauchens.
„Sie schon wieder? Habe ich nicht gesagt, Sie sollen mich in Ruhe lassen?“
„Liebes, du warst niemals bei mir, und ich weiß, dass du nicht an meine Fähigkeiten glaubst, aber deine Mama hat mir geglaubt und J. D. auch. Er und ich kennen uns schon lange, und das ist sicher der Grund, wieso ich seine Schwingungen so stark empfange. Die ganze Nacht habe ich wach gelegen, weil ich ständig seine Gegenwart gespürt habe.“
„Tut mir leid, aber in meinen Augen sind Sie verrückt. Ich glaube nicht an Geister, also ersparen Sie uns beiden die Unterhaltung, die Sie mir bei unserem letzten Telefonat schon aufgezwungen haben, also vor …“ Sie sah auf die Uhr. „… vor zwanzig Minuten.“
„Verrückt? Ja, das sagen viele, aber Missy, dasselbe haben sie auch über deine Mama gesagt. Sie war genau wie J. D. ein ganz eigener Mensch, eine Tagträumerin, und du hast viel von ihr geerbt.“
„Nur die guten Seiten“, versicherte Susannah ihr schnell.
Mama Ambrosia hatte ihr eröffnet, J. D. habe sie regelmäßig besucht, um zu hören, was die Zukunft für ihn bereithielt. Da sie ihr Dinge erzählt hatte, die nur J. D. wissen konnte, glaubte Susannah ihr in diesem Punkt. Es ärgerte sie, aber sie konnte auch nicht die winzige Hoffnung leugnen, die in ihr aufkeimte, wenn Mama Ambrosia so tat, als könnte sie Kontakt zu J. D. aufnehmen.
Susannah räusperte sich. „Und was bedeutet das, wenn er Ihnen Schwingungen schickt?“
„Dass er in Schwierigkeiten steckt, mein Kind.“
„Kann man wohl sagen.“ Susannah nahm einen Schluck von dem Brandy, um die Erinnerung an J. D.s Küsse zu verdrängen. Ihre Kehle brannte beim Schlucken und tat vom vielen Weinen weh, doch die Wärme des Brandys im Magen tat gut. „Er ist tot, größere Schwierigkeiten gibt es wohl kaum.“
„Er hat Probleme auf der anderen Seite.“
„Wenn er dort genauso viel Ärger macht wie hier, dann wundert mich das nicht. Wahrscheinlich streitet er sich mit dem Teufel, wer von ihnen den Dreizack halten oder auf dem Thron sitzen darf.“ Sicher lag es am Alkohol, dass sie in Gedanken sofort J. D. in einem eng anliegenden roten Dress mit Teufelshörnern sah. Sein knackiger Po kam darin gut zur Geltung. Der kleine Kinnbart passte auch. J. D. hatte schon immer ein teuflisches Funkeln im Blick gehabt.
„Ach, meine Liebe.“ Mama Ambrosia lachte. „Du liebst ihn immer noch, das hat mir meine Kristallkugel verraten. Ich fühle mich moralisch verpflichtet, dich auf deine kosmische Situation vorzubereiten.“
„Meine kosmische Situation?“ Diese Frau gehörte in eine Anstalt.
„Bereite dich auf eine Visitation vor.“
„Auf eine Visitation?“ Allmählich kam Susannah sich wie ein Papagei vor.
„Visitation. Das heißt, dass du Besuch bekommst.“
Entnervt schüttelte Susannah den Kopf. „Ich weiß, was Visitation bedeutet.“
„Warum fragst du dann nach?“
Darauf ging sie nicht ein. „Und wer besucht mich?“
„Der geliebte Verschiedene, dein Liebhaber, Partner, Ehemann.“
„Das bezweifle ich stark.“ Zum Glück klopfte in dem Moment ein anderer Anrufer in der Leitung an. „Tut mir wirklich leid, ich bekomme einen Anruf.“ Susannah bemühte sich um einen bedauernden Tonfall. J. D.s Tod und all seine Verfehlungen bereiteten ihr auch ohne Mama Ambrosias Unsinn schon genug Kummer.„Eine Visitation von J. D.,das fehlt mir noch. Soll er ruhig kommen,
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