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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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viele davon mit amerikanischem Pass.«
    »Was noch?«, fragte Mercer. »Ich würde gern unserem Profiler einen Tipp geben. Mal sehen, ob er den geographischen Jeopardy-Punkt schon ermittelt hat und ob dieser mit deiner Theorie übereinstimmt.«
    »Der Kerl ist gut gekleidet und hat ein gepflegtes Äußeres. Wenn wir Annikas Aussage trauen, dann ist er vielleicht in England zur Schule gegangen, wie so viele Familien aus den ehemaligen britischen Kolonien«, sagte ich. »Eine Verbindung zur UNO würde gut ins Bild passen.«
    »Das könnte auch der Grund sein, warum seine DANN in keiner Datenbank des Landes gespeichert ist.«
    »Meiner Meinung nach kann es kein Botschafter oder hochrangiger Diplomat sein«, sagte ich. »Dafür ist er zu jung. Aber nehmen wir mal an, sein Vater ist hier akkreditiert. Der Sohn arbeitet als Investmentbanker in einem Büro auf der Park Avenue – das würde sich mit dem U-Bahn-Stopp in der 51. Straße West decken und erklären, warum er mit ein paar Yuppies im Primola gesehen wurde.«
    Mercer spann den Faden weiter. »Vielleicht ist ihm einer von den Angestellten seines Vaters auf die Schliche gekommen. Vielleicht hat der- oder diejenige sein nächtliches Kommen und Gehen damals vor vier Jahren bemerkt und mit den Vergewaltigungen in Verbindung gebracht. Schließlich waren die Zeitungen voll davon. Derjenige zeigt Papa das Phantombild, das über die ganze East Side verteilt war, und überzeugt den Vater, dass er ihn außer Landes schicken muss.«
    »Danach ist einige Jahre lang Ruhe. Der Vater weiß nicht, wie Vergewaltiger ticken. Er denkt, sein Sohn sei aus der Sache rausgewachsen und beschließt, dass es an der Zeit sei, ihn wieder ins Land zu holen«, sagte ich.
    »Du interpretierst da ziemlich viel in ein paar Metro-Card-Daten hinein, aber es ergibt nicht weniger Sinn als die anderen Phantome, denen wir hinterherjagen. Ich klemme mich morgen dahinter.«
    Die beiden setzten mich kurz nach sieben Uhr vor meiner Haustür ab. Wir konnten Mike überzeugen, eine Auszeit zu nehmen und gegen Ende der Woche ein paar Tage mit Vals Bruder zu verbringen, wenn dieser nach New York kam, um Vals Wohnung aufzulösen. Ich hatte ihn noch nie so hilflos gesehen, und als das Auto davonfuhr, fragte ich mich, wann ich das nächste Mal von ihm hören würde.
    Mein Anrufbeantworter war randvoll mit besorgten Nachrichten wegen Mike. Ich hörte sie alle ab und machte es mir bequem, um einige der Anrufe zu erwidern.
    Als Letztes sprach ich mit Joan Stafford, die Mike sehr gern hatte und sich bei jedem unserer täglichen Telefonate nach ihm erkundigte. Ich schilderte ihr nicht alles, was in den letzten Tagen passiert war, aber ich erzählte ihr im Vertrauen von dem Verlobungsring, den Mike ins Meer geworfen hatte.
    »Wusstest du, dass er Val einen Ring gekauft hat?«, fragte sie.
    »Nicht, bis er ihn mir in die Hand legte. Ich, äh, mir war nicht klar, dass er ihr so bald einen Antrag machen würde. Ich dachte immer, er wäre der Letzte, der sich binden wolle.«
    »Ja, es hätte alles zwischen euch verändert. Eure Zusammenarbeit, seine Beschützerrolle dir gegenüber, eure Flirtereien –«
    »Das ist absurd. Früher oder später hätte er sie sowieso geheiratet. Beruflich hätte es nicht den geringsten Unterschied gemacht. Schau doch Mercer und Vickee an! Wir sind immer noch –«
    »Mir kannst du es doch sagen, Süße. Warst du nicht doch ein bisschen eifersüchtig, als du den Ring gesehen hast?«
    »Eifersüchtig? Bist du verrückt, Joan? Mir bricht es das Herz, Mike so zu sehen.« Ich versuchte, meine Gefühle zu sortieren und mir zu versichern, dass eine meiner engsten Freundinnen nicht mehr wusste als ich.
    »Er wird dich brauchen, um darüber hinwegzukommen.«
    »Momentan weist er jede Hilfe von sich. Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll.«
    »Glaub mir, Alex. Wenn er so weit ist, sich auszuheulen, dann wird es bei dir sein.«
    Nach dem Telefonat bestellte ich mir bei P. J. Bernstein’s Deli ein Truthahnsandwich, das ich nur halb aß, bevor ich ein heißes Schaumbad als Trostspender vorzog. Ich schenkte mir einen Scotch ein und sah meine Bücherregale im Wohnzimmer durch. Ich besaß einen alten Gedichtband von Poe, den ich mit in die Wanne nahm.
    Ich war in einer seltsamen Stimmung. Ich konnte es Mike nicht verdenken, dass er niemanden an sich ranließ, aber ich tat mich schwer damit, auf Abstand gehalten zu werden, während er so schrecklich einsam war. Andererseits verstand ich voll und ganz,

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