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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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abgehalfterter Cops auch noch mit literarischen Anspielungen zu beeindrucken, wäre ihr wohl als Letztes in den Sinn gekommen.«
    »Was ist mit Ihnen? Hat Sie Ihnen gegenüber etwas in der Richtung erwähnt, nachdem Sie sich besser kannten?«
    »Durch Emily habe ich Poe kennen gelernt. Aber das war viel später, als sie bei mir wohnte und versuchte, ihr Leben wieder auf die Reihe zu kriegen.«
    »Stand das in Zusammenhang mit dem Mord, den ihr Freund ihr gebeichtet hatte?«
    »Wahrscheinlich. Kennen Sie Poes Kurzgeschichten?«
    »Einige davon«, sagte ich.
    »Ich kannte sie bis dahin gar nicht. Emily besaß eine Anthologie. Sie brachte mich dazu, ein paar Erzählungen zu lesen – Das Fass Amontillado, Die schwarze Katze. «
    »Beide handeln von Leuten, die bei lebendigem Leib eingemauert werden. Haben Sie sie daraufhin nicht ernster genommen?«
    »Ich?« Er schenkte sich Kaffee nach. »Hey, Ms Cooper, ich war vielleicht der einzige Kerl in der Stadt, der ihr überhaupt zugehört hat. Ehrlich gesagt, angesichts ihres Alkohol- und Drogenkonsums und der Tatsache, dass es weder eine Vermisstenmeldung noch einen Tatort gab, glaubte sogar ich langsam, dass sie sich die ganze Sache nur aus diesen Geschichten zusammenfantasierte.«
    »Aber Sie haben sich intensiv genug mit Poes Werk auseinandergesetzt, um sich für Poes Tales of Ratiocination zu interessieren, hab ich Recht?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Ihr Besuch im Botanischen Garten, Mr Kittredge. Ihr Treffen – beziehungsweise ihr fehlgeschlagenes Treffen – mit einem Mann namens Zeldin.«
    Kittredge stellte seine Kaffeetasse in den Ausguss und senkte den Kopf, bevor er mich ansah. »Da ist die Polizei scheinbar doch mit der alten Geschichte rausgerückt. Lebt dieser Narr immer noch?«
    »Würden Sie uns bitte erzählen, warum Sie sich mit Zeldin treffen wollten?«, fragte Mercer. »Hatte das irgendetwas mit Emily Upshaw zu tun?«
    »Als diese Schießerei passierte, hatte ich Emily schon über zehn Jahre nicht mehr gesehen.« Kittredge überlegte eine Weile, bevor er weitersprach. »Aber in gewissem Sinn haben Sie wohl Recht. Emily hatte das Buch mit den Kurzgeschichten hier gelassen. Ich nahm es ungefähr zehn Jahre später wieder zur Hand, als mir jemand sagte, dass Poe die erste Detektiverzählung der Literaturgeschichte geschrieben hat.«
    »Emily hatte Ihnen nichts davon erzählt?«, fragte ich.
    »Ach was. Sie interessierte sich mehr für seine Grotesken und makaberen Schauergeschichten. Mir hatten es dann Die Morde in der Rue Morgue angetan.«
    »Was genau? Die Ermittlungstechniken von Monsieur Dupin?«, fragte ich.
    »Mir gefiel es, dass er seine Fälle mit Köpfchen löste.«
    »Aber er hat sich auch über die Pariser Polizei lustig gemacht, nicht wahr?«
    »Er dachte wie ein Ermittler. Das hat mich fasziniert. Kennen Sie die anderen?«
    »Sie meinen Poes andere Detektivgeschichten?«, fragte ich. »Nur die drei mit Auguste Dupin.«
    »Genau. Der entwendete Brief und Das Geheimnis um Marie Rogêt «, sagte Kittredge. »Was die meisten nicht wissen, ist, dass Marie Rogêt auf einer wahren Begebenheit basiert – einem Mord in New York. Wussten Sie das?«
    »Keine Ahnung. Das heißt, wenn ich mich recht erinnere, erwähnt Poe am Anfang etwas von Übereinstimmungen zwischen seiner Geschichte und einem tatsächlichen Mordfall, aber ich ging davon aus, dass er damit nur den Leser ködern wollte.«
    »Es machte mich neugierig, also bin ich der Sache nachgegangen. Es interessierte mich einfach, den alten Fall, der nie aufgeklärt worden war, wieder aufzurollen.«
    »Aber das muss vor über hundert –«
    »1841. Na und? Man versucht immer noch herauszufinden, wer Jack the Ripper war, hab ich Recht? Oder wer Kleopatra umgebracht hat. Oder ob Alexander der Große ermordet worden ist.«
    »Wer war das Opfer?«, fragte ich.
    »Mary Rogers.« Er lächelte. »Poe machte einfach einen französischen Namen daraus und verlegte die Geschichte nach Paris.«
    »War die echte Mary Rogers auch Verkäuferin?«
    »Sie arbeitete in einem Tabakladen als Zigarrenverkäuferin, unten am Broadway in der Nähe der Thomas Street«, sagte Kittredge. »Nicht weit vom heutigen Standort des Polizeipräsidiums und des Strafgerichts.«
    »Ähneln sich die Fakten?«
    »Ziemlich. Die schöne Miss Rogers kam eines Abends nicht nach Hause. Da es damals so etwas wie eine Vermisstenstelle noch nicht gab, schaltete die Familie eine Anzeige in der New Yorker Sun und bat um Hinweise auf ihr

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