Im Saal der Toten
bessere Ausdruck.«
»Genau das wollen wir vermeiden. Lassen Sie mich Ihnen ein paar brandaktuelle Statistiken nennen. Letztes Jahr ist im Vergleich zum Vorjahr die Anzahl gewalttätiger Verbrechen in Manhattan stark gesunken.« Ich hatte diese Litanei in den letzten zehn Jahren unzählige Male gehört und wusste, was als Nächstes kam. »Zahlen lügen nicht, aber Lügner können zählen.« Er kicherte in sich hinein, aber die meisten Reporter verdrehten die Augen. »Morde sind rückläufig, Raubüberfälle sind rück–«
»Vergewaltigung ist die einzige Verbrechenskategorie, bei der ein Anstieg zu verzeichnen ist. Warum das, Mr B?«
Sein Mundwinkel zuckte leicht in meine Richtung, und er nickte mir fast unmerklich zu. »Das hat zweierlei Gründe«, sagte ich. »Erstens werden diese Verbrechen heutzutage öfter zur Anzeige gebracht, das heißt, dass nicht tatsächlich mehr Vergewaltigungen passieren. Das ist unter anderem der Tatsache zu verdanken, dass heutzutage ein breit gefächertes Hilfsangebot für die Opfer existiert – sei es juristischer, medizinischer oder psychologischer Art. Zweitens muss man unterscheiden zwischen Fremdvergewaltigungen und Beziehungsdelikten. Fremdvergewaltigungen machen weniger als zwanzig Prozent der angezeigten Sexualstraftaten aus. Diese Zahl ist in den letzten fünf Jahren im Großen und Ganzen konstant geblieben.«
»Warum dann der Unterschied bei Beziehungstaten?«, fragte der Lokalreporter von NBC.
»Die Polizei entwickelt immer erfolgreichere und effektivere Strategien, um Fremdvergewaltiger in Schach zu halten. Dazu gehören präventive Maßnahmen wie neue Zivilstreifen und bürgernahe Polizeiarbeit, aber auch die strenge Überwachung von Sexualstraftätern und die hervorragende Arbeit des Sonderdezernats für Sexualverbrechen. Bei Beziehungsdelikten glaubt das Opfer dem Täter vertrauen zu können. Letzterer kann ein Familienangehöriger, ein Arbeitskollege oder ein Freund sein. Unter Umständen marschiert eine Frau direkt unter der Nase eines Cops mit ihrem Vergewaltiger in ihre Wohnung oder ein Hotel. Diese Fälle kann die Polizei nicht verhindern, und deshalb gehen die Zahlen von Zeit zu Zeit nach oben.«
Mickey Diamond kam wieder auf den aktuellen Fall zu sprechen. »Wieso konnte dann niemand den Überfall auf die ausländische Studentin letzte Woche verhindern? Oder den gestrigen Mord?«
Battaglia übernahm wieder das Ruder. »Aus genau diesem Grund haben wir uns für dieses aggressive Vorgehen, die John-Doe-Anklage, entschieden. Kein Serientäter versetzt diese Stadt ungestraft in Angst und Schrecken.«
Er stand auf, um das Ende der Pressekonferenz zu signalisieren und ging zu seinem Schreibtisch.
»Also wollen Sie damit sagen, dass beide Verbrechen auf das Konto desselben Mannes gehen, Paul?«, fragte Diamond.
Battaglia stellte sich taub. Er wollte nichts zu Protokoll geben, was man ihm später als Irrtum unter die Nase reiben könnte. »Rose, würden Sie mich bitte mit dem Bürgermeister verbinden? Und seien Sie doch so lieb und geleiten Sie die Reporter nach draußen.«
Diamond ließ nicht locker. »Alex, wie ich gehört habe, haben Sie dem Skelett drüben im Keller des NYU-Gebäudes direkt in die Augen geschaut. Würden Sie uns verraten, wie sich das angefühlt hat? Und was ist der Stand der diesbezüglichen Ermittlungen?«
Battaglia riss den Kopf herum. Sein Blick besagte, dass ich erst gar nicht auf die Idee kommen solle, darauf zu antworten.
»Das ist ganz und gar Sache der Polizei und der Gerichtsmedizin. Erst müssen sie herausfinden, wer die Frau ist und wie sie gestorben ist, bevor es irgendeinen Grund gibt, die Bezirksstaatsanwaltschaft einzuschalten. Alexandra hat dazu nichts zu sagen. Schluss für heute. Beeilen Sie sich, damit Sie Ihren Redaktionsschluss nicht verpassen.«
»Heißt das, der Polizeipräsident hat Sie nicht über den Anruf informiert, der heute Nachmittag bei der Fahndungshotline einging?«
Battaglia hasste es, über irgendetwas nicht Bescheid zu wissen. Ich wusste, dass er mir die Schuld dafür geben würde. Er sah mich Hilfe suchend an. Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf.
»Ich war den ganzen Tag in Besprechungen«, murmelte er in Diamonds Richtung. »Ich hatte noch keine Zeit, den Polizeipräsidenten zurückzurufen. Von welchem Hinweis sprechen Sie?«
»Irgend so ein Seelenklempner im Village hat meinen Artikel in der Wochenendausgabe gelesen«, sagte Diamond stolz. »Er glaubt zu wissen, wer das
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