Im Saal der Toten
nehmen.«
»Wäre es möglich, diese Unterhaltung morgen fortzusetzen?«, fragte ich.
»Natürlich, Ms Cooper. In der Zwischenzeit erkundige ich mich, was die Herausgabe der Mitgliederliste angeht. Und Sie drei sollten Ihre Poe-Kenntnisse auffrischen.«
»Hier, um neun Uhr?«
»Eigentlich hatte ich vor, den morgigen Tag im Büro zu verbringen«, sagte er, während ihn die Haushälterin zur Tür schob. »Angesichts des Todes von Dr. Ichiko dürfte das sogar interessant für Sie sein.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Mike.
»Ich war bis zu meiner Pensionierung Chefbibliothekar der Rara-Abteilung im Botanischen Garten«, sagte Zeldin.
Mike eilte ihm hinterher und betätigte die Bremsen des Rollstuhls. »Sie waren im Botanischen Garten und wollen erst aus der Zeitung von Ichikos Tod erfahren haben?«
»Mr Chapman, ich war den ganzen Nachmittag in einem Akquisitionsgespräch in der Mertz-Bibliothek. Als mich mein Fahrer um vier Uhr nachmittags abholte, hatte man die Leiche des armen Mannes laut den Presseberichten noch gar nicht entdeckt. Ich habe erst heute Morgen aus der Zeitung davon erfahren. Julia, bitte geleiten Sie die Herrschaften hinaus, und dann fangen wir mit meiner Trainingsstunde an.«
»Waren Sie heute Vormittag auch in der Bronx?«, fragte ich und dachte an das Attentat an der Ruhmeshalle.
»Ich war den ganzen Tag hier, allein mit meinen Büchern. Julia kann Ihnen das gern bestätigen.«
Die Haushälterin nickte, während sie uns die Tür aufhielt.
»Neun Uhr?«, wiederholte ich.
»In der Bibliothek, durch die Einfahrt am Mosholu Parkway und dann links.«
Wieder einmal standen wir in der Kälte vor einem Hauseingang. »Ich habe Hunger«, sagte Mike, »und mir tut alles weh. Mein Steißbein, mein Stolz, mein Magen. Ich brauche ein gutes Steak.«
Wir fuhren in zwei Autos die wenigen Straßenzüge zum Patroon in der 46. Straße. Das Mekka für Geschäftsleute und elegante Gesellschaften war seit langem eins unserer Lieblingslokale. Der Wartebereich war voll, und die Tischanweiserin bestürzt, dass wir keine Reservierung hatten.
»Hey, Mike, kommt hier rauf auf einen Drink.« Der Besitzer, Ken Aretsky, winkte uns von der Treppe zu. Wir drängten uns durch die Menge und gingen nach oben in die Lounge, vorbei an der herrlichen Sammlung eleganter Schwarzweißfotos von Manhattan aus den vierziger und fünfziger Jahren.
Egal wie viele Tycoons und Börsenhaie im Restaurant waren, Ken gab uns immer das Gefühl, willkommen zu sein. Innerhalb von wenigen Minuten hatten wir unsere Drinks und eine ruhige Ecke, in der wir unsere Gedanken ordnen konnten.
»Zum Wohl«, sagte Mike und stieß mit uns an. »Auf das friedliche Ende eines langen Tages.«
»Wie passen all diese Puzzleteile zusammen?«, fragte ich.
»Du bist diejenige, die Literatur studiert hat. Was weißt du über Poe? Es gibt zu viele Querverbindungen zwischen Aurora Tait, Emily Upshaw und Dr. Ichiko, um sie außer Acht zu lassen.«
»Ich kenne nur das Übliche – viele seiner Gedichte, einige Erzählungen. Ich weiß, dass er in Boston geboren wurde und dass die Familie seines Vaters aus Baltimore stammte – wo er auch gestorben und begraben ist. Er wuchs in Richmond auf, wo es ein Poe-Museum gibt, und studierte in Charlottesville.«
»Wusstest du, dass er in New York gelebt hat?«, fragte Mercer.
Mike antwortete: »Ich habe einmal in der 84. Straße West einen Einbruch gehabt. In den 1840er Jahren war das alles Farmland und gehörte, wie Zeldin schon sagte, der Familie Brennan. Ich glaube, die Straße heißt jetzt sogar Poe Alley.«
»Wir sollten uns von Zeldin so viel wie möglich über Poe erzählen lassen«, sagte Mercer. »Vielleicht hilft uns irgendetwas weiter, irgendein kleines Detail. Falls Zeldin selbst in die Sache verwickelt ist, verstrickt er sich dabei möglicherweise nur tiefer. Wir sollten es ausnutzen, dass er gerne redet.«
»Glaubst du den Schwachsinn, den er erzählt?«, fragte Mike.
»Hast du die Krücken in der Bibliothek gesehen? Die wären nicht da, wenn er nicht aufstehen könnte. Ich will wissen, ob und wie gut er zu Fuß ist, und auf welcher Strecke ihn sein Fahrer gestern Nachmittag nach Hause gefahren hat. Von seinem Büro ist es nicht weit bis zur Schlucht.«
»Mann, ich bin auch noch auf der Suche nach einem Fitnessprogramm, das mit einem Joint und einem Glas Rotwein anfängt.«
»Ihr habt Recht«, sagte ich. »Er soll uns so viel wie möglich über Poe erzählen. Viele große Künstler haben ihre
Weitere Kostenlose Bücher