Im Schatten der Akazie
ziehen müssen, ehe sie Hattuscha erreichte. Umgeben von unwegsamen Gebirgsstöcken, die für einen etwaigen Angreifer ein erhebliches Hindernis darstellten, mutete die an den Fels geklammerte Stadt wie ein uneinnehmbares Bollwerk an. Ihre Erbauer mußten wahre Wunder vollbracht haben. Doch wie weit war man hier von Ägypten und seinen offenen, einladenden Städten entfernt!
In das Innere von Hattuscha gelangte man durch fünf wuchtige Tore: zwei in den Mauern der Unterstadt und drei in denen der Oberstadt. Die hethitische Eskorte, die dem Botschafter des Pharaos und seinem Gefolge seit vielen Meilen das Geleit gab, führte ihn zu dem am höchsten gelegenen Zugang, zum Sphinxtor.
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Ehe Acha hindurchschritt, vollzog er ein hethitisches Ritual.
Er brach drei Brote, begoß einen Felsblock mit Wein und sprach dazu die vorgeschriebenen Worte: »Möge er ewig sein!« Der Ägypter stellte fest, daß auch mit Öl und Honig gefüllte Gefäße vor dem Tor standen, um die Dämonen davon abzuhalten, ihre übelriechenden Ausdünstungen in der Stadt zu verbreiten. König Hattuschili hatte also an den überlieferten Bräuchen nichts verändert.
Dieses Mal hatte der Gesandte unter den Anstrengungen der Reise gelitten. In jüngeren Jahren war es ihm stets verhaßt gewesen, längere Zeit an einem Ort zu verweilen, er hatte die Gefahr geliebt und war ohne Zögern Wagnisse eingegangen.
Mit zunehmendem Alter empfand er es jedoch als Bürde, Ägypten zu verlassen. Dieser Aufenthalt außer Landes beraubte ihn obendrein eines durch nichts zu ersetzenden Vergnügens: Ramses herrschen zu sehen. Ganz im Sinne der Maat wußte der Pharao, was schon der von Nefertari überaus geschätzte Weise Ptah-hotep in seinen Lehren geschrieben hatte: »Zuhören ist besser als alles andere.«
Deshalb ließ er seine hohen Beamten ausführliche Erklärungen abgeben, horchte auf jeden Tonfall, verfolgte jede Gebärde. Und jählings, so schnell wie das Krokodil Sobek aus den Tiefen des Wassers steigt, um die Sonne aufs neue zu gebären, traf Ramses eine Entscheidung. Dann verkündete er sie in einem schlichten Satz: klar, eindeutig, endgültig. Er führte das Ruder mit unnachahmlichem Fingerspitzengefühl, denn er war das Staatsschiff und dessen Steuermann zugleich.
Die Götter, die ihn erwählt hatten, hatten sich nicht geirrt, und die Menschen gehorchten ihm zu Recht.
Zwei Soldaten in Helm und Harnisch brachten Acha zum Palast von Hattuscha. Der thronte eindrucksvoll auf dem zerklüfteten Burgberg, und auch an den Zinnen seiner hohen Türme hielten aufs beste ausgebildete Soldaten unablässig Wache. Der Herr des Landes war gegen jedweden Überfall von 81
außen abgeschirmt. Deshalb hatten von jeher alle, die es nach der obersten Gewalt im Staat gelüstete, zumeist lieber Gift angewendet als den Palast gestürmt, denn damit wären sie unweigerlich gescheitert.
Hattuschili hätte ebenfalls darauf zurückgegriffen, um Uriteschup aus dem Weg zu räumen, wenn Acha, der seine Mission mit außerordentlichem Geschick erfüllte, dem Oberbefehlshaber nicht zur Flucht verholfen hätte, obwohl er die Schuld trug am Tode seines Vaters, des Königs Muwatalli.
In Ägypten hatte Uriteschup dann dem Pharao nützliche Auskünfte über die hethitische Armee erteilt.
In »die große Festung«, wie das Volk den Palast von Hattuscha schaudernd nannte, gab es nur einen einzigen Eingang. Als sich die schwere Bronzetür hinter Acha schloß, fühlte er sich wie ein Gefangener, zumal auch die Botschaft, die er Hattuschili überbringen mußte, ihn nicht sehr zuversichtlich stimmte.
Ermutigend war allein die Tatsache, daß der Herrscher ihn nicht warten ließ. Acha wurde in den eiskalten Audienzsaal mit den dicken Säulen geführt, dessen Wände bunte Teppiche zierten.
Hattuschili, von kleinem und schmächtigem Wuchs, hatte sein Haar mit einem Band zusammengehalten, trug eine silberne Halskette sowie einen eisernen Armreif und war wie üblich mit einem langen Gewand aus mehrfarbigem Stoff bekleidet. Ein oberflächlicher Beobachter hätte ihn für eher unscheinbar, ja sogar harmlos gehalten, doch das hieße seinen Eigensinn ebenso zu verkennen wie seine strategischen Fähigkeiten als Priester der Sonnengöttin, der nach langem Zwist letzten Endes die Oberhand über den gefährlichen Uriteschup gewonnen hatte. Bei diesem unerbittlichen Kampf war ihm die Hilfe seiner Gemahlin zuteil geworden, der schönen Puducheba, deren Klugheit Offiziere und Kaufleute gleichermaßen
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