Im Schatten der Akazie
Stirn zu bieten.«
Die Überheblichkeit des Offiziers drohte ihn seine Stellung zu kosten, doch Ramses blieb gelassen.
»Deine Worte entbehren nicht einer gewissen Klugheit«, befand er, »deine Betrachtungsweise ist indes zu einseitig.
Falls Ägypten einen Krieg anzettelte, bräche es den Friedensvertrag und damit sein Wort. Stellst du dir vor, daß ein Pharao dies tun könnte?«
Der Befehlshaber zog sich zurück und tauchte zwischen den Höflingen unter, die der Herrscher mit seinen Entgegnungen überzeugt hatte.
Da bat der Aufseher über die Kanäle um das Wort.
»Und wenn der König von Hatti seine Entscheidung rückgängig machte und sich weigerte, seine Tochter nach Ägypten zu schicken? Würdest du diese Haltung nicht als unannehmbar erachten, Majestät?«
Mit einem Pantherfell bekleidet, trat Kha vor, der Oberpriester von Memphis.
»Gestattet der Pharao, daß ich darauf antworte?«
Ramses willigte ein.
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»Von meinem Standpunkt aus«, erklärte der erstgeborene Sohn des Königs, »bietet Klugheit in der Staatsführung und im Gesandtschaftswesen bei lebenswichtigen Fragen keine ausreichende Gewähr. Die Achtung vor dem einmal gegebenen Wort und vor den Gesetzen der Maat hat zwar Vorrang vor allem anderen, man muß aber auch die Regeln der Magie anwenden, die unsere Vorfahren uns gelehrt haben. Im Jahre dreißig seiner Herrschaft beging Ramses der Große sein erstes Erneuerungsfest; fortan heißt es jedoch, ihm häufiger die unsichtbaren Kräfte wieder zuteil werden zu lassen, deren er bedarf, um Ägypten zu regieren. Deshalb ist es das Vordringlichste in diesem dreiunddreißigsten Jahr, sein zweites Erneuerungsfest abzuhalten. Danach wird sich der Horizont erhellen, und die Antworten auf unsere Fragen werden sich von selbst ergeben.«
»Das bedarf langer und kostspieliger Vorbereitungen«, begehrte der Verwalter des Schatzhauses auf. »Wäre es nicht angebracht, dieses Fest zu verschieben?«
»Ausgeschlossen«, erwiderte der Oberpriester. »Die aus den Schriften gewonnenen Erkenntnisse und die Berechnungen der Sternkundigen führen zum gleichen Ergebnis: In weniger als zwei Monaten muß das zweite Erneuerungsfest Ramses’ des Großen gefeiert werden. Es gilt, mit vereinten Kräften die Götter und Göttinnen herbeizuflehen und unser Denken auf den Schutz des Pharaos zu richten.«
Der Oberste Kommandant der Festungen entlang der Grenze im Nordosten hielt es für ratsam, sich zu Wort zu melden. Als altgedienter Offizier mit großer Erfahrung war er sich der Aufmerksamkeit vieler Würdenträger gewiß.
»Ich zolle der Meinung des Oberpriesters Achtung, aber was tun wir, falls die Hethiter angreifen? Sobald Hattuschili erfährt, daß Ägypten dieses große Fest vorbereitet, ohne sich um Ramses’ Vermählung mit seiner Tochter zu kümmern, wird er sich noch mehr gedemütigt fühlen und zum Sturm blasen. Und 162
wer soll die Befehle erteilen, während der Pharao die Riten abhält?«
»Schon der Vollzug dieser Riten wird uns schützen«, behauptete Kha mit seiner tiefen, wohltönenden Stimme. »So ist es immer gewesen.«
»So spricht nur einer, der in die Geheimnisse der Tempel eingeweiht und mit ihnen vertraut ist, ein erfahrener Soldat sieht das anders. Hattuschili zögert, uns anzugreifen, weil er Ramses fürchtet, den Sieger von Kadesch, dem er übernatürliche Fähigkeiten zutraut. Wenn aber der Pharao nicht an der Spitze seiner Truppen steht, wird der Herrscher von Hatti alles, worüber er verfügt, in die Schlacht werfen.«
»Die Magie stellt den besten Schutz Ägyptens dar«, befand Kha. »Die zerstörerischen Mächte, hethitische oder andere, sind nur die Werkzeuge der Finsternis, und ihr kann keine menschliche Armee Einhalt gebieten. War es nicht Amun, der bei Kadesch Ramses’ Arm mehr Kraft verlieh, als Tausende von Feinden aufbrachten?«
Diese Beweisführung verfehlte ihre Wirkung nicht. Kein weiterer Offizier erhob mehr einen Einwand.
»Ich wäre gerne bei dem Ritual zugegen«, beteuerte Merenptah, »aber ist mein Platz nicht auf Befehl des Pharaos an der Grenze?«
»Du wirst während des Festes mit zehn ‹Söhnen des Königs›
die Sicherheit unseres Hoheitsgebietes gewährleisten.«
Ramses’ Entscheidung beruhigte den Hofstaat, doch der Vorsteher der Ritualpriester bahnte sich, sichtbar erregt, einen Weg durch die Reihen. Er hatte einen kahlgeschorenen Schädel, ein ovales Gesicht mit edlen Zügen, und seine ganze Erscheinung deutete eher auf eine streng enthaltsame und
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