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Im Schatten der Akazie

Im Schatten der Akazie

Titel: Im Schatten der Akazie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Jacq
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überging.
    Nach der Zeremonie zogen sich seine Tochter und der Priester zurück und überließen Ramses der Betrachtung des Baumes der Millionen Jahre, der fortan auch von seiner Herrschaft kündete.

    Merit-Amun kehrte in den Bereich der Musikantinnen des Tempels zurück, als ihr eine junge, prunkvoll gekleidete blonde Frau den Weg versperrte.
    »Ich bin Maat-Hor«, erklärte sie angriffslustig. »Wir sind uns noch nie begegnet, aber ich muß mit dir reden.«
    »Du bist die amtliche Gemahlin meines Vaters, wir haben einander nichts zu sagen.«
    »Aber du bist die wahre Königin Ägyptens!«
    »Meine Rolle ist ausschließlich religiöser Natur.«
    »Mit anderen Worten: überaus wichtig.«
    270

    »Deute dies, wie es dir beliebt, Maat-Hor. In meinen Augen wird es nie eine andere Große königliche Gemahlin geben als Nefertari.«
    »Sie ist tot, doch ich bin lebendig! Da du dich zu regieren weigerst, weshalb hinderst du dann mich daran?«
    Merit-Amun lächelte.
    »Deine Einbildungskraft ist zu erfinderisch. Ich lebe hier vollkommen zurückgezogen und nehme keinerlei Anteil an weltlichen Dingen.«
    »Dafür bist du bei allen für den Staat bedeutsamen Riten zugegen, als Königin von Ägypten!«
    »Das ist der Wille des Pharaos. Möchtest du den etwa anfechten?«
    »Sprich mit ihm, bringe ihn dazu, daß er mir den Platz einräumt, der mir gebührt. Dein Einfluß wird entscheidend sein.«
    »Was möchtest du wirklich, Maat-Hor?«
    »Ich habe ein Recht darauf zu herrschen, das steht mir als Gemahlin des Pharaos zu.«
    »Ägypten läßt sich nicht durch Zwang, sondern nur durch Liebe erobern. Wenn du die Maat nicht achtest und deine Pflicht versäumst, wirst du leidvolle Enttäuschungen erleben.«
    »Auf dein Gerede lege ich keinen Wert, Merit-Amun. Ich verlange deine Hilfe. Ich gedenke nämlich der Welt nicht zu entsagen.«
    »Du besitzt mehr Mut als ich; viel Glück, Maat-Hor!«
    Im großen Säulensaal des Tempels von Karnak, den Sethos begonnen hatte und den Ramses als sein Sohn und Nachfolger hatte vollenden lassen, hing er lange seinen Gedanken nach.
    Durch die Fenster mit steinernem Gitterwerk fiel das Licht ein und beleuchtete nach und nach die gemeißelten und gemalten Darstellungen des Pharaos, der den Göttern Opfer darbrachte, 271

    damit sie bereit waren, ihren Wohnsitz auf Erden beizubehalten.
    Amun, die erhabene Seele Ägyptens, blieb zwar geheimnisvoll, war aber überall am Werk. Er kommt mit dem Wind, pries ihn ein Lobgesang, aber man sieht ihn nicht. Die Nacht ist erfüllt von seiner Gegenwart. Was hoch ist und was niedrig ist, er vollendet es. Ihn erkennen zu wollen, obgleich man wußte, daß er sich stets menschlichem Verstand entziehen würde, hieß das nicht, wie bereits in den »Sprüchen für das Herausgehen am Tage« behauptet, das Böse und die Finsternis zu verdrängen, die Zukunft zu ergründen und das Land so zu gestalten, daß es den Himmel widerspiegelte?
    Der Mann, der auf Ramses zukam, hatte ein kantiges Gesicht mit abschreckenden Zügen, die auch durch das Alter nicht gemildert wurden. Der ehemalige Aufseher über die königlichen Pferdeställe war vor langem in Karnak in die Dienste Amuns eingetreten und in der Rangfolge der Priester zum Zweiten Propheten des Gottes aufgestiegen. Den Kopf kahlgeschoren, mit einem makellosen Leinengewand bekleidet, blieb Bakhen einige Schritte vom Herrscher entfernt stehen.
    »Wie freue ich mich, dich wiederzusehen, Majestät!«
    »Dank deiner sind Karnak und Luxor der Gottheiten würdig, die hier wohnen. Wie geht es Nebou?«
    »Der Oberpriester verläßt sein kleines Haus neben dem heiligen See nicht mehr, er steht mittlerweile über dem Alter, erteilt aber immer noch Befehle.«
    Ramses wußte Bakhens Treue zu schätzen. Er war einer dieser seltenen anspruchslosen Menschen, deren Hauptsorge darin bestand, redlich zu handeln. Die Verwaltung des größten heiligen Bezirks von Ägypten lag in guten Händen.
    Dennoch wirkte Bakhen nicht so gelassen wie sonst.
    »Bedrückt dich etwas?«
    272

    »Mir sind jüngst Klagen aus kleineren Heiligtümern in der Region von Theben zugetragen worden: Sie haben bald keinen Weihrauch, vor allem kein Olibanum, und auch keine Myrrhe mehr, die doch für den täglichen Vollzug der Riten unerläßlich sind. Im Augenblick reichen die Vorräte von Karnak noch, um ihnen auszuhelfen, aber in zwei oder drei Monaten werden auch unsere Bestände aufgebraucht sein.«
    »Sollen die Tempel nicht vor Einbruch des Winters noch beliefert

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