Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
würde Hans ihn einholen? Nikolaus´ Lungen brannten vor Anstrengung. Seine Beine wurden immer schwerer. Viel zu schnell ließen seine Kräfte nach. Lange konnte er das Tempo nicht mehr durchstehen. Ängstlich riskierte er einen Blick zurück. Doch hinter ihm war niemand. Ganz weit zurück, dort hinten beim letzten Haus, stand jemand auf der Straße und hob drohend seine Fäuste. Nikolaus wurde langsamer, blieb schließlich stehen. Schnaufend rang er nach Luft. Jetzt merkte er, wie sehr er sich verausgabt hatte. Ihm war ein wenig schwindelig, und sein Hals brannte, seine Knie zitterten. Aber die Angst blieb. Wenn sich Hans doch noch entschließen sollte, ihm zu folgen? Nikolaus sammelte seine Kräfte und eilte weiter. Immer wieder vergewisserte er sich, dass ihm niemand folgte.
Bald wusste er nicht mehr, wo er sich befand. Ein ganzes Stück vorher hätte er sich links halten sollen, um auf der Hauptstraße wieder nach Manderscheid zu kommen. Wohin dieser Weg führte, wusste er nicht. Er schätzte, dass er ein Stück oberhalb der Burgen wieder auf das Tal der Lieser treffen müsste. Bald führte ihn der Weg in den Wald.
Nach kurzer Zeit im kühlen Schatten des Waldes ging es Nikolaus schon wieder besser. Hans war zwar nicht mehr zu sehen, aber er blieb trotzdem wachsam. Schließlich trat er wieder ins helle Sonnenlicht. Hier bot sich ihm ein grandioser Ausblick. Er befand sich auf einem Hügel oberhalb der Burgen, sodass er von hier aus sowohl auf die Ober- als auch auf die dahinterliegende Niederburg schauen konnte. Tief unter ihm im Tal floss die Lieser, und halb rechts erblickte er den Ort Obermanderscheid. Nikolaus war sprachlos. Dieser Ort verbreitete von hier aus gesehen so viel Friedlichkeit und Erhabenheit, dass er eine ganze Zeit in sich versunken stehen blieb.
Das grausige Geschrei von Krähen hinter ihm schreckte ihn aus seinen Träumereien auf. Hatte sich Hans unbemerkt anschleichen können? Nikolaus wirbelte herum und schrie erschrocken auf. Dort an einem Baum stand der Hecken und starrte ihn an!
»Macht Euch nicht unglücklich!«, rief er ihm zu. »Der Kurfürst wird meinen Tod sühnen!«
Wohin sollte er fliehen? Wer konnte ihm jetzt noch helfen?
»Ich warne Euch!«
Doch Hans rührte sich nicht. Er stand dort mit gesenktem Kopf an einen Baum gelehnt. Nikolaus schaute genauer hin. Das war gar nicht Hans Hecken! Das war Wolfgang! Hatten die beiden ihn in eine Falle gelockt? Der eine erschreckte das Opfer, damit der andere es überraschend überwältigen konnte.
»Was soll das? Was wollt Ihr von mir?«
Irgendetwas war hier nicht koscher. Wolfgang rührte sich nicht. Dafür hüpften die Krähen im Baumwipfel über ihm umso aufgeregter herum. Eigentlich hätten die Vögel doch wegfliegen müssen. Was machten die noch im Geäst?
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen näherte sich Nikolaus vorsichtig Wolfgang. Der blickte noch immer zu Boden. Insgesamt wirkte es eher so, als hätte jemand ihn am Schlafittchen gepackt und an den Baum gehängt. Jetzt sah Nikolaus auch warum. Wolfgang war ein Schwert so tief durch die Brust gerammt worden, dass er damit förmlich an den Baumstamm geheftet worden war. Da kam jede Hilfe zu spät, der hatte seinen letzten Atemzug schon längst getan.
Entsetzt sah sich der junge Gelehrte den Schauplatz näher an. Das Hemd des Toten war mit Blut durchtränkt. Auch er war durch Stiche in den Bauch getötet worden – genau wie Wilhelm. Der Todeskampf musste ebenfalls eine gewisse Zeit gedauert haben. Was für ein grausames Spiel! Und auch ihm war die letzte, die symbolische Wunde erst nach dem Tod beigebracht worden. Um den Schwertstich herum war kein Blut geflossen. Er war erst nachträglich so aufgestellt worden. Nikolaus berührte den Toten am Hals. Er war schon ganz kalt. Der Tod war wahrscheinlich irgendwann in der Nacht eingetreten, als er nach Hans´ Aussage bei einer Frau gewesen sein sollte. Möglicherweise war er auf dem Nachhauseweg abgefangen und … hingerichtet worden.
Nikolaus schaute sich den Boden an. Um den Baum wuchs Gras. Es war niedergetrampelt, aber nirgends eine Spur von Blut. Wahrscheinlich war Wolfgang nicht hier gestorben, sondern erst nach seinem Tod hierhergebracht worden.
»Eines ist nun klar«, murmelte der junge Mann nachdenklich. »Du kannst mir jetzt nicht mehr sagen, ob du was mit Wilhelms Tod zu tun hast. Aber wer hat dich umgebracht? Geschah das aus Rache, weil du ihn getötet hast?«
Dafür sprach auf jeden Fall die Ähnlichkeit der
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