Im Schatten der Giganten: Roman
vier. Den fernen Lichtern von Muena Palaiya schienen wir uns nicht genähert zu haben. Die Stadt musste jetzt unser Ziel sein, falls wir es bis dahin schaffen konnten. Wir waren nach Südosten unterwegs, aber die Straße verlief nie lange gerade. Oft folgte eine Kurve der anderen, und nicht selten führten diese Kurven in die Richtung zurück, aus der wir gekommen waren.
Diese Serpentinen waren es, die im Verlauf der Nacht eine seltsame Beziehung zwischen uns und den Verfolgern entstehen ließen. Sie kamen näher, blieben aber unter uns. Felsen, Gestrüpp und loser Schiefer bedeckten die steilen Hangabschnitte zwischen den Kurven. Für die Pferde war es unmöglich, diese Abkürzungen zu nehmen. Die Bogenschützen probierten den einen oder anderen Schuss, und einige Pfeile kamen uns so nahe, dass ich ihr leises Zischen hörte. Jeden Augenblick rechnete ich damit, dass sich einer von ihnen in meinen Körper bohrte oder Salzleck eine Verletzung zufügte, die ihn am Weiterlaufen hinderte.
Doch vielleicht waren wir gerade bei jenen Gelegenheiten besonders sicher. Manchmal verschwand das orangefarbene Flackern einer Fackel, wenn ein Reiter versuchte, den Hang zu erklimmen, und stattdessen in die Tiefe stürzte.
Dann wieder trachteten die Verfolger danach, den Vorteil ihrer höheren Geschwindigkeit zu nutzen. Sie hatten ihn zweifellos, denn sie schlossen selbst dann zu uns auf, wenn Salzleck so schnell wie möglich lief.
Wie lange waren ihre Pferde imstande, dieses Tempo durchzuhalten? Sie galoppierten seit Stunden und hatten keine Möglichkeit gehabt, sich auszuruhen, sah man von der kurzen Pause in Reb Panza ab. Hier waren wir im Vorteil, ein kleines bisschen. Andererseits … Pferde verfügten von Natur aus über Schnelligkeit und Ausdauer, was man von den Riesen wahrscheinlich nicht sagen konnte.
Als ich meine Antwort bekam, dämmerte bereits der Morgen. Aus Salzlecks schnellem Laufen war ein wesentlich langsameres Trotten geworden, und er pendelte zwischen den Straßenrändern hin und her. Seit zwei Stunden wurde er langsamer, und ich hatte nichts anderes tun können, als mich auf seiner Schulter festzuhalten und dann und wann ein ermutigendes Wort zu murmeln. Die Reiter waren ebenfalls langsamer geworden, um zu vermeiden, dass die Pferde erschöpft unter ihnen zusammenbrachen. Selbst die Bogenschützen hatten einen Teil ihres Eifers verloren. Einem Beobachter wäre die Verfolgungsjagd komisch vorgekommen: Eine Kurve brachte uns in Sichtweite, und es flogen einige halbherzige Pfeile, die hinter uns gegen die Felsen klapperten; dann kam die nächste Kurve, und wir verloren uns wieder aus den Augen.
So komisch die Situation einem unbeteiligten Beobachter auch erscheinen mochte, mir war nicht zum Lachen zumute. Irgendwann würde Salzleck stehen bleiben, weil er einfach nicht weiterkonnte, und dann blieb mir nichts anderes übrig, als die Flucht zu Fuß fortzusetzen. Die Verfolger waren nicht nur schneller und zahlreicher, sondern auch weniger von wunden Stellen und blauen Flecken geplagt, woraus folgte: Ich hatte nicht die geringste Chance.
Als wir eine weitere Biegung hinter uns brachten, bot sich eine Alternative an. Ein großes Gehöft lag direkt vor uns, abseits der Straße, ein doppelstöckiges Herrenhaus, umgeben von Gehegen und Nebengebäuden. Es war eins der florierenden Landgüter in der Nähe von Muena Palaiya. Eine Reihe aus Zitronenbäumen erstreckte sich zwischen dem Haupthaus und der Straße, und weiter hinten sah ich Kornfelder und Obstplantagen an den Hängen. Entweder waren die Eigentümer bereits draußen auf den Feldern, oder sie lagen noch faul in ihren Betten, während sich Arbeiter um alles Notwendige kümmerten, denn es brannte nirgends Licht.
Ich bemerkte noch andere Details. Auf der rechten Seite des Haupthauses stand eine Scheune, und daran grenzten zwei umzäunte Bereiche. Der erste, dem Haus am nächsten, enthielt schläfriges Vieh. Im anderen standen zwei Hengste und genehmigten sich ein frühes Frühstück: Es bestand aus Heu, das durch die Lücken zwischen den Holzlatten der Scheune ragte.
»Zur Scheune, Salzleck«, sagte ich.
Er wurde noch etwas langsamer, drehte den Kopf und versuchte, mich anzusehen. Als das nicht klappte, brummte er etwas.
»Was?«
Diesmal sprach er deutlicher. »Laufen.«
Seine Stimme war heiser und klang so mühevoll wie die eines Sterbenden. Ich begriff, wie erschöpft er sein musste. Allerdings hatte er nicht seine Fähigkeit verloren, mit einigen
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