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Im Schatten der Giganten: Roman

Im Schatten der Giganten: Roman

Titel: Im Schatten der Giganten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tallerman , Andreas Brandhorst
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strengte sie noch mehr an, bis Lichter in der Dunkelheit zu tanzen schienen. Und noch immer sah ich nichts, nur eine leere Straße in regennasser Nacht.
    Jemand rief: »Sie haben aufgegeben!«
    Ich starrte weiterhin. Es musste ein Trick sein, eine Falle. Jeden Moment würde der Fleck erneut erscheinen, vielleicht noch näher als zuvor.
    Dann erreichten wir eine Steigung, die uns über die Straße hinter uns brachte, und gleichzeitig kam ein bisschen Mondschein durch die Wolken. Und dort waren die Verfolger, weit hinter uns zurückgefallen; es konnte kein Zweifel daran bestehen.
    Mounteban schickte einen seiner Leibwächter mit dem Auftrag los, nach dem Rechten zu sehen. Es handelte sich um einen kleinen, sehr stillen Mann, den ich bis dahin kaum bemerkt hatte. Etwas an ihm weckte den Wunsch in mir, ihn nicht anzusehen, und als mein Blick auf ihm verweilte, brachten seine Bewegungen etwas zum Ausdruck, bei dem sich mir die Nackenhaare aufrichteten. Er kehrte bald zurück und flüsterte Mounteban etwas zu, der daraufhin berichtete, dass die Soldaten kehrtgemacht hatten und in die Richtung zurückkehrten, aus der wir gekommen waren.
    »Es ist nicht unbedingt eine gute Nachricht«, fügte er hinzu. »Wir haben einige Stunden Frieden gewonnen, das ist alles. Die Soldaten haben die Verfolgung nur deshalb aufgegeben, weil sie Moaradrid unsere Position melden und Verstärkung holen wollen.«
    Es folgte eine schnelle Besprechung, um zu entscheiden, ob wir den Weg fortsetzen oder aber lagern sollten. Ein Blick in die Runde machte deutlich, wie die Antwort lauten musste. Alle waren zum Umfallen müde und einige bereits in ihren Sätteln eingeschlafen. Doch Estrada beschloss, noch bis zur nächsten Kreuzung zu reiten. Dort teilten wir uns erneut auf und blieben noch eine weitere Stunde in Bewegung, damit der Abstand zwischen uns groß genug wurde. Wenn ein Angriff in der Nacht erfolgte, sollten wenigstens einige von uns entkommen können.
    An Estradas Logik gab es nichts auszusetzen. Trotzdem war der Rest der Reise eine wahre Tortur. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage lagen bei allen die Nerven blank. Wir waren nass bis auf die Haut, und das Klappern von Zähnen übertönte selbst das Stampfen der Hufe. Mir ging es etwas besser als den anderen, denn ich hatte geschlafen und gegessen. Doch selbst ich wäre am liebsten an Ort und Stelle zu Boden gesunken, auch wenn die Gefahr bestand, von einem Wagenrad überrollt zu werden – das hätte mein Elend wenigstens beendet. Estradas Gesicht war eine Maske, weiß wie ein Knochen. Was hinter dieser Maske vor sich ging, konnte ich nicht einmal erahnen.
    Als wir schließlich die Kreuzung erreichten, wartete dort ein Galgen auf uns, der sich wie ein Gerippe vor dem Himmel abzeichnete. Zwar hatte man ihn seit Jahren nicht mehr benutzt, aber er erinnerte mich an die Schlinge um meinen Hals, in der Nähe von Moaradrids Heereslager, an meine verzweifelten Tritte ins Leere. Die Männer um mich herum wirkten geisterhaft, als sie im schwachen Mondschein davonschlichen. Ihre Pferde und Wagenräder, die zuvor so laut gewesen waren, erschienen mir plötzlich sehr leise.
    Mir fiel ein, dass die Männer den Kampf vielleicht gar nicht überlebt hatten, dass ich mich in der Gesellschaft von Phantomen befand, die zu stur waren, um sich mit ihrem Tod abzufinden. Selbst wenn es nicht stimmte, es war eine durchaus angemessene Beschreibung für Estrada und ihren eisernen Durchhaltewillen. Stocksteif saß sie neben mir, das Haar zerzaust, ihr Gesicht hohlwangig. Man hätte sie für eine Gesandte des Jenseits halten können, die ausgeschickt worden war, um uns zu holen.
    Ein anderer Gedanke ließ mich schaudern: War ich wirklich im letzten Augenblick vor dem Tod durch den Strang gerettet worden? Oder gehörte dies alles zu einem letzten Delirium, während ich starb?
    Ich fühlte mich etwas besser, als wir die Kreuzung hinter uns ließen und Wald zu beiden Seiten des Weges hatten. Seine gelegentlichen nächtlichen Geräusche wirkten vertraut und beruhigten mich. Da es nichts anderes zu sehen gab als dicht an dicht stehende Bäume, wusste ich nach einer Weile kaum mehr, ob ich wach war oder schlief. Wenn der Wagen durch eine besonders tiefe Furche rumpelte, zuckte ich zusammen, als erwachte ich aus einem Albtraum, nur um dann festzustellen, dass alles genau so war wie in meiner Erinnerung.
    Dass wir angehalten hatten, bemerkte ich erst, als Estrada sagte: »Dies sollte weit genug sein.«
    Ihre Stimme war

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