Im Schatten der Giganten: Roman
kaum mehr als ein Krächzen. Ob weit genug oder nicht: Ich bezweifelte, dass sie in der Lage gewesen wäre, den Weg noch länger fortzusetzen.
Links von uns erstreckte sich eine Lichtung. Es gelang uns, die Pferde dorthin zu führen, obwohl sie heftig protestierten. Die Wagen stellten wir hintereinander an die Baumgrenze; dort sollten sie bis zum Sonnenaufgang verborgen bleiben. Wir spannten die Pferde ab und führten sie unters Baumkronendach, wo sie müde zu grasen begannen.
Es kam natürlich nicht infrage, ein Lagerfeuer anzuzünden. Leider hatten wir nicht die Möglichkeit, unsere nassen Sachen gegen trockene zu tauschen. Es hätte ohnehin keinen Sinn gehabt, denn zwar regnete es nicht mehr, aber der Boden war noch immer nass. Estrada konnte nur einige wenige dünne Decken anbieten. Niemand hatte die Kraft zu essen, mit Ausnahme von Salzleck, der sofort damit begann, Blätter von Ästen zu reißen und sie in sich hineinzustopfen. Lange Zeit lag ich vor Kälte zitternd da, nicht ganz wach und nicht ganz eingeschlafen, und hörte, wie der Riese kaute und mampfte. Das Geräusch erinnerte mich ans Meer, dessen Brandung immer wieder gegen eine felsige Küste schlug und sie langsam, ganz langsam, zerrieb.
Ich erwachte mit einem schrecklichen Dröhnen im Kopf und von Dunkelheit umgeben. Es war völlig still; ich hörte nicht einmal die Rufe von Nachtvögeln oder das Zirpen von Grillen. Als sich meine Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, bemerkte ich jenseits der Baumwipfel die ersten schwachen Andeutungen des Morgengrauens. Alle Muskeln in meinem Leib schmerzten, und mir lief die Nase in der Kälte.
Direkt voraus sah ich Salzlecks Rücken. Jemand hatte ihm die Plane eines Wagens übergestreift, obwohl sie nur bis zum Bauch reichte. Der Anblick hatte nichts, das in mir den Wunsch weckte, wach zu bleiben. Ich schloss die Augen in der vagen Hoffnung, erneut einzuschlafen.
Etwas klopfte an meine Schulter, und ich begriff: Genau dieses Gefühl war es gewesen, das mich geweckt hatte. Ich drehte mich auf die Seite und sah in Mountebans schmutziges Gesicht. Er kniff das eine Auge zusammen und hielt einen warnenden Zeigefinger vor die Lippen.
Ich setzte mich ganz vorsichtig auf, zum einen Teil deswegen, weil ich möglichst leise sein wollte, und zum anderen, weil ich fürchtete, das Hämmern in meinem Kopf könnte noch lauter werden. Das Licht reichte gerade aus, um zu erkennen, dass bis auf Salzleck und mich alle wach waren und in der Mitte der Lichtung kauerten. Nein, nicht alle. Es fehlte der stille Mann, der mir am vergangenen Tag solches Unbehagen beschert hatte.
Als Mounteban sicher sein konnte, meine Aufmerksamkeit zu haben, deutete er zur Straße. Aus dem Augenwinkel sah ich Estrada, die mit wenig Erfolg versuchte, Salzleck zu wecken.
Mit stummen Lippenbewegungen fragte ich Mounteban: »Was ist los?« Und dann: »Soldaten?«
Er nickte.
Genau in diesem Moment trat sein Späher hinter einer nahen Birke hervor, kaum zwei Schritte von uns entfernt. Er deutete zur Straße, wie zuvor Mounteban, und winkte dann in Richtung Westen.
»Weg?«, flüsterte Mounteban, und der stille Mann nickte kurz.
Estrada, die es inzwischen geschafft hatte, Salzleck zu wecken, kroch auf uns zu. »Es werden noch mehr kommen. Wir müssen die Straßen meiden.«
»Ich kann dich durchs Gelände führen«, sagte Mounteban. Eine Andeutung von Triumph lag in seiner Stimme.
»Dazu bleibt keine Zeit.«
»Wir sind etwa einen Tag vom Fluss entfernt. Vielleicht finden wir dort ein Boot.«
»Und dann?«
»Dann … Ich weiß nicht. Wir könnten den Eigentümer fragen, ob er bereit wäre, uns das Boot zu verkaufen. Was hast du geglaubt, dass ich vorhabe? Wenn du meine Vergangenheit so widerlich findest, Marina, hättest du mich vielleicht gar nicht erst für deine Sache rekrutieren sollen.« Mounteban sprach immer lauter, und zum Schluss schrie er fast. Mit rotem Gesicht sah er sich um, gefangen zwischen Verlegenheit und Zorn. Estrada und er starrten sich an, und die Stille zwischen ihnen hatte etwas Eisiges.
Diesmal machte sie einen Rückzieher. »Du hast recht«, sagte sie. »Wir sollten aufbrechen.«
Die nächsten Minuten verbrachten wir damit, Vorräte von den Wagen zu entladen und sie auf Rucksäcke und die Satteltaschen der beiden Pferde zu verteilen. Unter den Bäumen war es dunkel wie in einem tiefen Keller. Die Baumstämme ragten wie Säulen auf, und Regenwasser tropfte von den knisternden und raschelnden Wipfeln. Ein muffiger
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