Im Schatten der Giganten: Roman
sich aus, und alle Blicke richteten sich auf das Kopfende des langen Tisches, wo nur noch Panchetto stand.
Der Prinz hob die Arme, und seine Hände bewegten sich, als wollten sie fortfliegen. »Tausendmal willkommen, meine lieben Gäste! Ihr ehrt mich mit eurer Präsenz. Die meisten von euch haben bereits an früheren bescheidenen Versammlungen dieser Art teilgenommen, aber einige sind zum ersten Mal dabei, und über ihre Gesellschaft freue ich mich besonders. Ich meine natürlich die Würdenträger Moaradrid von Shoan sowie Bürgermeisterin Marina Estrada und ihre Begleiter.« Panchetto deutete fast unmerklich auf Salzleck, und ein leises Lachen ging durch den Raum. »Ich hoffe, ihr erweist ihnen den Respekt, der ihnen gebührt.«
Ich konnte es kaum glauben – Panchetto hatte uns gerade verspottet. Bisher hatte ich in meiner Naivität geglaubt, das Bankett fände zu unseren Ehren statt. Zu spät fiel mir ein, dass wir vielleicht die leichte Lösung für ein schwieriges Dilemma sein sollten, oder schlimmer noch: Unterhaltung für die gelangweilten Freunde des Prinzen. Ich hatte ihn unterschätzt, und fast wäre ich beeindruckt gewesen, aber er unterschätzte Moaradrid, und ich wusste aus eigener Erfahrung, wie katastrophal das sein konnte. Im Gesicht des Kriegsherrn zeichnete sich jedenfalls ein herannahendes Gewitter ab. Ich mochte zu empfindlich sein, aber offenbar ging es nicht nur mir so.
Vielleicht hatte es damit zu tun, dass wir nahe genug waren, um uns gegenseitig zu bespucken. Wir saßen am Ende des Tisches: Salzleck, Estrada und ich auf der einen Seite, Moaradrid und seine finster dreinblickenden Leibwächter auf der anderen. Alvantes war ein Platz in Moaradrids Nähe zugewiesen worden, was als ein weiterer Affront verstanden werden konnte. Wollte Panchetto auf diese Weise dem Barbaren seinen wahren Platz in der größeren Ordnung der Dinge zeigen?
Wenn das stimmte … Ich konnte mir einfachere Methoden des Selbstmords vorstellen.
Jemand schien eine Linie in den Tisch geschnitten zu haben, um die beiden Seiten wie durch eine tiefe Kluft voneinander zu trennen. In der Nähe des Prinzen fanden zahlreiche Gespräche statt; dort herrschte unbeschwerte Ausgelassenheit. Ich bemerkte den Dicken, dem ich zuvor einen Besuch in seinem Zimmer abgestattet hatte – er saß bei Panchetto, legte gerade den Kopf nach hinten und lachte laut. Die anderen Männer waren ebenfalls recht füllig, wohingegen die Frauen dazu neigten, dunkelhäutig zu sein und mit sanften Stimmen zu sprechen. Ihre Kleidung war sehr elegant, fast extravagant. Sie trugen Schmuck, aber auf eine zurückhaltende Art und Weise, sodass ein Nicken oder eine Geste plötzlich einen bis dahin verborgenen rot funkelnden Edelstein zeigte.
Auf der anderen Seite der Kluft saßen wir. In unserer einfachen Kleidung mussten wir einen geradezu komischen Anblick bieten. Estrada hatte ein leichtes Leinengewand gewählt, das unter anderen Umständen zweifellos elegant gewesen wäre, in der Nähe von so viel Prunk jedoch derb und bäurisch wirkte. Die Stille bei uns war drückend wie ein heißer Sommertag. Jeden Augenblick rechnete ich damit, dass Moaradrid über den Tisch sprang und jemandem das Messer in die Brust stieß. Je öfter ich mir das vorstellte, desto mehr glaubte ich, dass es eine Erleichterung gewesen wäre.
Als das erste Dienstmädchen mit Speisen erschien, hätte ich es am liebsten umarmt. Ihr Erscheinen verscheuchte die Anspannung nicht, sorgte aber für Ablenkung; wir konnten jetzt vorgeben, auf das Essen zu warten, nicht darauf, dass Gewalt losbrach. Die Prozession aus Töpfen und Tellern erinnerte mich an die Eimerkette bei einem Feuer, und bald ächzte der Tisch unter ihrer Last.
Dankbar für ein Thema, das vielleicht kein Blutvergießen provozierte, fragte ich Estrada: »Ist dies alles für heute Abend?«
Sie sah mich überrascht an. »Dies ist nur der erste Gang, Damasco.«
Alvantes bemerkte mein Erstaunen und sagte: »Stimmt was nicht, Damasco? Verwirrt dich die Vorstellung von Essen, das du nicht stehlen musst?«
»Wenigstens bin ich nicht eingeladen, um den Pöbel unter Kontrolle zu halten«, brummte ich. Dann begriff ich, dass ich gerade Moaradrid beleidigt hatte – und auch mich selbst –, beugte mich über meinen Teller und gab vor, dass er meine volle Aufmerksamkeit beanspruchte, was mich keine große Anstrengung kostete. Eigentlich, so musste ich mir eingestehen, lag Alvantes mit seinen Worten nicht so sehr daneben. Nach
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