Im Schatten der Königin: Roman
ahnen.
»Ich will die Wahrheit von dir hören«, sagte Elizabeth, als ich mich wieder aufrichtete. Sie hatte erst vor zwei Tagen ihren siebenundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, und niemand war stolzer auf sie gewesen als ich, ganz gewiss nicht; mein Mädchen war jetzt jeder Zoll eine Königin. Aus dem Stein, den die Bauleute fortgeworfen haben, ist das Fundament eines Turms geworden , hatte sie bei ihrer Thronbesteigung gesagt, und bei dem Glanz, der sie nun umgab, könnte man mit Fug und Recht auch von einem Edelstein sprechen; sie war nicht mehr der unerwünschte »kleine Bastard«, wie sie die Botschafter ganz offiziell genannt hatten, sondern ein unzerstörbarer Diamant.
Trotzdem hatte es an ihrem Geburtstag Streit zwischen uns gegeben, und das nur Robin Dudleys wegen. Eigentlich begann dieser Streit ein paar Wochen vorher, als ich von ihr die Gästeliste erhielt und den Namen seiner Gemahlin Amy durchgestrichen fand. Ich versuchte es zuerst vorsichtig und meinte, gewiss sei es ein Irrtum ihrerseits, denn es bestünde doch kein Grund, die Gemahlin ihres alten Freundes nicht an ihrem Geburtstag zu empfangen.
»Wenn du nach einer Entschuldigung für den Hofklatsch suchst, dann greif auf Lady Amys zarte Gesundheit zurück«, sagte Elizabeth schnippisch. Ich entgegnete nichts, sondern musterte sie nur, und sie runzelte die Stirn. »Es ist mein Geburtstag, und nun, da ich Königin bin, habe ich weiß Gott das Recht, mir die Gäste selbst auszusuchen, wenn es sich nicht um ausländische Botschafter oder unseren lieben Hochadel handelt. Und ich will sie nicht dabei haben. Das ist Grund genug.«
»Das ist vielleicht gerade der Grund, warum Ihr sie einladen solltet«, gab ich zurück. Klatsch, der einmal entbrannt ist, kann nie wieder vollständig aus der Welt geschafft werden, aber es hätte doch viele Mäuler gestopft, wenn sie sich ein wenig um Amy Dudley bemüht hätte.
In den so lange zurückliegenden Zeiten, ehe Anne Boleyn in das Leben des Königs getreten war, da hatte er viele Geliebte gehabt, und diese Mätressen waren alle Hofdamen seiner ersten Königin gewesen. Henry hatte sie alle mit seinen Freunden verheiratet, die er danach in der Regel besonders bevorzugt behandelte. Bei einem König, so pflegte mein verstorbener Mr.Ashley zu sagen, ist dergleichen normal. Just das gleiche Verhalten war für eine Königin natürlich undenkbar, und die einzige Frau, die vor Elizabeth auf dem Thron saß – die verstorbene Mary –, hatte umgehend geheiratet und dem Spanier weiß Gott nie Anlass zur Eifersucht gegeben. Ich wusste, dass ich meinem Mädchen diese beiden kaum als Vorbild nennen durfte – der eine hatte ihre Mutter töten lassen, die andere ihr Leben in Gefahr gebracht –, aber dass es zu nichts Gutem führen konnte, wenn sie Robin Dudley offen bevorzugte und seine Gemahlin vom Hof fernhielt, das konnte auch eine Blinde sehen. Ich bemühte mich, eine Lösung zu finden, aber in dieser Beziehung gab sie sich störrisch wie ein Maulesel. Keine Amy an ihrem Geburtstag.
Vielleicht hätte ich nichts weiter sagen sollen. Doch nun ist sie die Königin, und es gibt sonst niemanden, der etwas sagen kann, niemanden, auf den sie hört und von dem sie weiß, dass er nicht aus Eigennutz spricht.
Es gab eine Zeit, in der habe ich in einer sehr ähnlichen Lage erst gar nichts gesagt und dann das Falsche. Da war sie fast noch ein Kind, und es hätte uns beide beinahe das Leben gekostet. Das werde ich mir nie verzeihen. Also dachte ich mir, dass der richtige Zeitpunkt dafür, ihr ins Gewissen zu reden, vielleicht an ihrem Geburtstag selbst war, um klarzumachen, dass es nicht mehr um Gästelisten oder eine bestimmte Gelegenheit ging, sondern um das Prinzip. Also sagte ich ihr, nachdem sie sich von den Festlichkeiten zurückgezogen hatte, dass ihre Vertraulichkeit mit Robin Dudley aufhören musste, weil das ganze Land sie jetzt schon eine ehrlose Ehebrecherin nannte und nichts als Unheil dabei herauskommen würde.
Elizabeth hat von ihrem Vater nicht nur die roten Haare, sondern auch das Temperament geerbt. Anfangs zügelte sie es noch und entgegnete, dann irre sich das ganze Land eben.
»Deswegen wolltet Ihr my lady Amy auch nicht an Eurem Geburtstag dabeihaben. Weil das ganze Land sich irrt«, sagte ich tadelnd.
»Kat, fang mir nicht wieder davon an. Lass uns nicht streiten, nicht heute. Ich bin kein Kind mehr, und du brauchst mich nicht mehr zu erziehen.«
»Wenn Ihr noch ein Kind wäret, Madam, dann bräuchte
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