Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
du dir etwas gekauft hast, gehst du direkt nach Hause, klar?«
Chloe zieht ihren zusammengeknäulten Anorak unter der Hecke hervor, entwirrt ihn und zieht ihn langsam an. » Mach schon«, sagt Debbie. » Im Ernst. In einer Minute fang ich an, Steine zu werfen.«
Darrens Hand ist unter ihren Rock geglitten, und ein einzelner Finger arbeitet sich in ihr elastisches Höschen.
Langsam zockelt Chloe die Straße hinauf. Nach etwa zwanzig Metern bleibt sie unsicher stehen. » Ich weiß den Weg nicht«, sagt sie.
» Aaaah!« Debbie verdreht die Augen vor Frustration. » Chloe! Wir laufen diesen Weg jeden Tag! Geh einfach, ja?«
Chloes Augen füllen sich mit Tränen. » Ich will aber nicht! Mama hat gesagt, du sollst auf mich aufpassen!«
» Heiliger Himmel!« Debbie gibt sich geschlagen. » Schön, dann kannst du aber auch die zehn Penny nicht behalten.«
» Verflucht noch mal!«, sagt Darren und setzt sich mit einem Ruck rittlings auf die Bank, um den Druck auf seine Hoden zu lindern. » Wir müssen die loswerden. Die kommt nicht mit uns mit.«
» Ja, aber Darren«, erklärt Debbie – sie ist hin und her gerissen –, » meine Mutter macht Hackfleisch aus mir, wenn ihr was passiert.«
» Was soll’s«, meint er und dreht ihr den Rücken zu.
Schweigen. Sie hören, wie sommerlich verschlafen das Dorf ist, hören die Kühe vom Bauernhof.
» Du bist sowieso noch ein Kind«, sagt er beleidigt. » Ich weiß gar nicht, was ich mir dabei gedacht hab.«
Debbie stößt einen Seufzer aus. Sie hasst ihre Schwester und ihre Mutter ebenfalls. Das soll mein Sommer sein. Die sind alle so egoistisch.
Verzweifelt blickt sie die Straße hinauf und spürt, wie ihr der Moment entgleitet. Er ist sowas von sexy, was Besseres werde ich so schnell nicht finden, denkt sie. Und diese verdammte Chloe …
Da biegen zwei Gestalten um die Ecke des Kriegerdenkmals. Eine ist stämmig, mit braunem Haar und ganz in Rot gekleidet, die andere im Vergleich dazu gertenschlank und blond.
» He, Darren«, sagt sie. » Ist das nicht deine Schwester?«
KAPITEL 33
Sie weint, bevor sie sich setzt. Demütigende, ekelhafte, übermächtige Tränen, die ihr aus Augen und Nase über die Winkel ihres geöffneten Munds laufen und sie mit Scham erfüllen. Sie durchsucht ihre Taschen– die Handtasche hat man ihr am Empfang abgenommen– nach einer Rotzfahne, findet aber nichts. Wendet sich bittend dem Aufsichtsbeamten zu, der gleichgültig an der Tür steht, und sieht ein, dass sie von ihm keine Hilfe zu erwarten hat.
Sie haben ihm die Nase gebrochen. Sein Gesicht ist eine einzige Ansammlung blaurot-gelber Blutergüsse, doch es ist immer noch er, der sie da ungerührt über den Tisch hinweg anstarrt. Alles ist noch da: der feine, vornehme Knochenbau, das dichte dunkle Haar und die Locke, die ihm in die hohe, intelligente Stirn fällt, die starken Hände mit den langen Künstlerfingern. Plötzlich überzieht dieses breite, traurige Gesellschaftslächeln sein Gesicht, mit dem er sich Leute vom Leib hält.
» Hallo, Baby«, sagt er. » Ich dachte schon, du hättest mich komplett vergessen.«
Sie ist so fassungslos, dass die Tränen versiegen. Mit offenem Mund starrt sie ihn an– einerseits aus Überraschung, andererseits, weil sie seit dreißig Stunden nicht mehr durch die Nase atmen kann. Solange er sich noch in Untersuchungshaft befand und sie ihn nicht besuchen durfte, hat sie es nicht geglaubt. Sich immer noch einreden können, dass ein schrecklicher Irrtum vorliegen müsse und sie aufwachen und feststellen würde, dass alles nur ein Traum war. Aber jetzt, wo sie hier ist, er angeklagt wurde– es heißt, da komme noch mehr– und sie dieses heitere Lächeln sieht, glaubt sie alles, jedes einzelne Wort.
» Wie bitte?«, fragt sie.
Wieder das Lächeln, eine Hand, die über den Tisch nach ihr ausgestreckt wird.
» Hast du meine Hemden mitgebracht?«, erkundigt er sich. » Wie ich dich gebeten habe?«
» Ich…« Sie ist sprachlos. Es ist, als würde sie ihn im Wellness-Hotel besuchen. » Ja«, antwortet sie. » Sie sind draußen. Ich habe sie auf dem Tisch liegenlassen. Man hat mir nicht erlaubt, sie mit reinzubringen.«
» So kenn ich mein Mädchen«, sagt er. » Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann. Ist auch das Elvis-Hemd drin? Das mit der Stickerei?«
» Ja«, erwidert sie. Und fügt noch hinzu, als handelte es sich um eine ganz alltägliche Situation: » Das grüne ebenfalls. Du weißt schon, das aus Cord. Das hast du doch so
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