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Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Marwood
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gern.«
    » Du bist ein Juwel«, sagt er. » Braves Mädchen.«
    Mein Gott, denkt sie. Ich kenne dich überhaupt nicht.
    » Und wie geht’s dir?«, fragt er, als wäre sie eine unverheiratete Tante, die aus Sevenoaks angereist ist. » Was hast du so getrieben? Was macht die Arbeit?«
    Sie möchte am liebsten schreien, ihn schlagen. Was glaubst du wohl, dass ich getrieben habe, du Arschloch? Cocktailpartys geschmissen? Ich war nicht arbeiten. Wie denn auch? Ich komm ja nicht mal zur Haustür raus, Herrgott noch mal!
    » Bist du aus gewesen? Hattest du Besuch?«
    » Ich…«, platzt sie heraus, » ich kenne dich nicht. Ich weiß überhaupt nicht, wer du bist. Ich dachte, ich würde dich kennen, aber das stimmt nicht.«
    Vic lehnt sich zurück, presst die Handflächen auf den Tisch und zieht die Augenbrauen hoch. » Was möchtest du mir sagen?«
    Ein neuerlicher Tränenausbruch kündigt sich an. Wie ein Orkan– zerstörerisch, unaufhaltsam. » Du– o Gott, Vic. Was hast du bloß getan?«
    » Keine Ahnung«, erwidert er seelenruhig. » Was hast du getan, Amber?«
    Sie möchte ihn ohrfeigen, den Spuren seiner Angreifer ihre eigenen hinzufügen. Doch sie weiß, dass ihr Aufpasser sie auf halber Strecke über den Tisch zurückzerren wird. Nun, da er eingesperrt ist, ist Vic geschützt. Amber hat die Vorhänge zugezogen, das Telefon aus der Wand gezogen und das Handy abgeschaltet. Sie lebt von Konserven und Hülsenfrüchten, weil schon der Weg zum Auto, ganz zu schweigen vom Supermarkt, ein entsetzlicher Spießrutenlauf durch Beschuldigungen und Blitzlichter ist– dabei ist er, zumindest theoretisch, immer noch nur ein Verdächtiger.
    Er beobachtet sie wie ein Wissenschaftler einen Käfer, fasziniert von ihren Gefühlsregungen, als handelte es sich bei ihnen um irgendein ausgefallenes Paarungsritual. Sie hat das Gefühl, mit einem Eiszapfen erstochen zu werden. Er ist nicht im Geringsten beunruhigt, wirkt kein bisschen so, als würde ihn irgendetwas– der Menschenauflauf, die Anklagen, die Schwierigkeiten, in denen er sich befindet– berühren. Habe ich auch so gewirkt?, fragt sie sich. Ich war erstarrt vor Angst. Aber vielleicht war ich genauso, vielleicht haben sie mich deshalb so gehasst. Wenn ich geschrien hätte oder gekämpft oder einen hysterischen Anfall bekommen hätte… Hätten sie mich dann anders gesehen?
    » Mein Gott, Vic. Diese armen Frauen.«
    Vic gibt augenrollend einen spöttischen Laut des Missfallens von sich, als spräche sie rührselig über Insekten.
    » Empfindest du denn überhaupt nichts? Mein Gott, fünf. Oder sieben? Empfindest du denn gar nichts angesichts dessen, was du getan hast?«
    Erneut verdreht er die Augen. » Zum Teufel noch mal!«, sagt er. » Ich kann nicht glauben, dass sie die alte Schachtel aus der Fore Street immer noch mitzählen. Das ist eine verdammte Beleidigung. Hast du mich je blutverschmiert gesehen? Los, sag.«
    Sie schluckt, versucht, durch ihre starre Kehle Atem zu schöpfen. Erkennt, dass es ihr erster Atemzug ist, seit er zu sprechen begonnen hat.
    » Verdammte Frechheit«, sagt er. » Als ob.«
    Sie starrt ihn eine Weile an.
    » Sie sagen, ich müsse es gewusst haben. Ich darf das Haus nicht verlassen.«
    » Jetzt bist du aber doch hier, oder etwa nicht?«
    Sie nimmt seinen leicht belustigten Gesichtsausdruck wahr und begreift, dass dies– diese Schwachstelle in seinem Charakter, diese Unfähigkeit, sich in jemanden anderen hineinzuversetzen– genau genommen entscheidend dazu beitrug, dass ihre Beziehung funktionierte: dass sie in ihr nie mit klebrigen, beängstigenden, gefährlichen Gefühlen zu tun hatte. Ihr ganzes Leben lang bedeuteten Gefühle Schmerz für sie, und Vic mit seinem distanzierten, hohlen Inneren erschien ihr wie eine Oase in der Wüste, als sie ihm begegnete. Ich bin selber hohl, denkt sie. Und auch ein Mörder. Kein Wunder, dass ich ihn für einen Gleichgesinnten hielt.
    » Warum ich?«, fragt sie plötzlich. » Warum hast du dich für mich entschieden?«
    Wieder das Lächeln. Verspielt. Unverstellt. » Oh, ich glaube, das weißt du.«
    » Nein. Wirklich nicht.«
    » Oh doch, Annabel«, erwidert er tadelnd. » Ich denke schon.«
    Eine Sekunde lang glaubt sie, sich verhört zu haben. Dass ihre Verzweiflung und die Ähnlichkeit der beiden Namen ihrem Gehör einen Streich gespielt haben. Dann sieht sie sein aufrichtiges Lächeln und begreift, dass er es weiß. Es schon immer gewusst hat. Voller schadenfroher Freude wartet er darauf, dass sie

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