Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
beobachtet ihr Unbehagen. Sie hebt die Hand und deutet auf die Pforte. Jason rührt sich nicht. Schaut bloß. Amber zeigt ihm ihre Karte, zuckt zur Demonstration ihrer Ratlosigkeit die Achseln und drückt pantomimisch einen Knopf, um ihn dazu zu bringen, sie einzulassen.
Jasons Lächeln verwandelt sich in ein hässliches Grinsen, triumphierend, schadenfroh. Er schüttelt den Kopf. Dann sieht sie, wie er nach dem Telefon greift und abhebt. Ihre Blicke begegnen sich.
Sie immer noch ansehend, beginnt er zu sprechen. Sie sieht, wie seine Lippen die Silben ihres Namens formen. Amber Gordon. Annabel Oldacre.
Sie wendet sich ab und humpelt die Straße hinunter Richtung Strand.
KAPITEL 40
Jim schläft schnell ein– Wein, gepaart mit Müdigkeit und dem Stress, den die Hoffnung mit sich bringt–, Kirsty dagegen liegt wach und starrt tränenlos auf das Straßenlicht an der Zimmerdecke. Irgendwo da draußen in der Nacht spielt sich das Drama ab, und sie hat nicht die geringste Ahnung, wie es ausgehen wird. Sie weiß nur, dass sie Angst hat und am liebsten zusammenpacken und weglaufen würde, um jeden Beweis zu vernichten, dass sie jemals in Whitmouth war.
Ich bin so ein Idiot, denkt sie. Ein derartiger Trottel. Gleich beim ersten Mal, als ich sie sah, hätte ich die Flucht ergreifen sollen. Die Bewährungshelfer anrufen und ihnen zu Protokoll geben sollen, was passiert ist: mich entlasten und als Opfer eines außerordentlichen Zufalls anerkennen lassen. Wenn sie es jetzt je rausfinden, wenn uns irgendjemand aus diesem Café in Zusammenhang bringt, bin ich geliefert. Und Jim ebenfalls und Sophie und Luke. Ihre Welt wird aus den Fugen geraten, und sie werden nie, nie wieder vertrauen können– keinem Sachverhalt, keiner Geschichte, keinem Eindruck von Freundlichkeit. Alles was ich getan habe, jeder Wiedergutmachungsversuch, jede Sekunde, in der ich Regeln und Anweisungen befolgt habe, brav und reumütig und lieb war – alles ausgelöscht in einem einzigen Moment durch einen einzigen wahnsinnigen Impuls der Neugier.
Morgen, denkt sie. Morgen, wenn wir zu Jims Mutter fahren. Ich rufe bei der Zeitung an und melde mich krank, bis es vorbei ist, was immer » vorbei« heißen mag. Vogelgrippe, Typhus, Hepatitis B, Hirnhautentzündung, egal was, Hauptsache ansteckend, damit keiner in meine Nähe kommen will. Ich halte mich von Whitmouth fern und tue so, als ob ich nie dagewesen wäre. Darin bin ich gut: so tun, als ob. Das habe ich schließlich mein ganzes Leben gemacht.
Das Telefon auf dem Nachttisch klingelt. Sein Display leuchtet und es brummt, während es beginnt, ruckelnd über die glänzende Oberfläche zu tanzen. Jim rührt sich, grummelt und dreht sich um. Kirsty greift danach und schaut aufs Display. Eine Nummer, kein Name. Aber sie braucht auch keinen Namen. Es ist Amber.
Sie leitet sie auf die Mailbox um. Sekunden später klingelt es wieder. Sie hat nicht einmal gewartet, um eine Nachricht zu hinterlassen. Oh mein Gott, denkt Kirsty, wie krieg ich diese Nummer bloß wieder aus meiner Anruferliste? Die werden ihre Anrufe überprüfen, dazu sind sie vermutlich verpflichtet. Obwohl, warum sollten sie? Sie hat sich in zwanzig Jahren nichts zuschulden kommen lassen. Außer mich anzurufen. Erneut weist sie das Gespräch ab und wird wütend, als der Klingelton unverzüglich wieder ertönt.
» Jetzt geh um Himmels willen ran«, murmelt Jim. » Ich versuche zu schlafen.«
Kirsty steht auf und schlüpft ins angrenzende Bad. Sie macht das Licht nicht an, weil das Geräusch der Entlüftung ihn noch weiter wach machen würde. Setzt sich in dem fensterlosen, stockdunklen Raum auf den Toilettendeckel, und als das Handy erneut zu vibrieren beginnt, meldet sie sich flüsternd.
Ambers Stimme– voller Panik und ebenfalls flüsternd–, im Hintergrund das Geräusch von Wellen, die über Kiesel schwappen. Sie ist am Strand. Ganz offensichtlich. » Du musst mir helfen.«
» Wo bist du?«
» Bitte. Sie sind hinter mir her.«
» Wo bist du?«, wiederholt sie. Ihr kommt der Gedanke, die Nummer zu blockieren und die Polizei anzurufen, Stan, Dave Park, und sie hinzuschicken, um sie einzusammeln.
» Du musst mich hier rausholen.«
» Nein!« Wie eine Bombe platzt das Wort aus ihrem Mund. » Ich kann nicht, Amber. Du weißt, dass das nicht geht. Das ist Wahnsinn. Eine absolut wahnsinnige Idee.«
» Ich bin nicht– lieber Himmel, du begreifst nicht. Da– da draußen ist ein Mob. Sie haben mir die Fenster eingeworfen. Und meine
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