Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)

Titel: Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Marwood
Vom Netzwerk:
39
    Das letzte Hindernis vor Coleridge Close ist eine Mauer aus gelben Ziegeln mit einem Spalier, an dem sich Kletterrosen hochranken. Amber keucht von der Anstrengung ihrer Flucht, dem Klettern, Rennen und Ducken, um das Licht zu meiden. Und weil sie mit einem Satz vor dem Rottweiler von Nummer 17 zurückweichen musste, der anschlug und an seiner Kette zerrte, als sie an ihm vorbeikam. Das Tier hat ihre Verfolger auf ihren Fluchtweg aufmerksam gemacht. Während sie das Hindernis vor sich anstarrt, hört sie ein Krachen, gefolgt von einem Schwall Flüche, als ein Zaun unter einem muskulösen Körper nachgibt. Vier Häuser weiter gehen die Lichter an.
    » Wo ist sie hin?«, dringt eine Stimme durch die Nachtluft, beängstigend nah. Sie hat geglaubt, mindestens eine Straße Abstand zwischen sich und die anderen gelegt zu haben, doch das hier klingt viel näher. Vielleicht zwei Grundstücke entfernt. » Wo zum Teufel steckt sie?«
    » Coleridge«, brüllt ein anderer. » Richtung Coleridge.«
    » Scheiße«, sagt die erste Stimme. Holt zweimal tief Luft. » Dann los! Scheiße!«
    Seine Stimme steigert sich zu einem theatralischen Geheul. Jetzt gehen in allen Häusern die Lichter an. Die Bewohner des Hauses, auf dessen Grundstück sie sich befindet, sind anscheinend nicht daheim, andernfalls ist sie leichte Beute. » He! Sie will zur Coleridge!«
    Entfernt ertönt aus ihrem eigenen Garten ein Schrei: Die anderen haben ihn verstanden.
    Mist. Ihr hämmert der Puls in den Ohren. Amber nimmt Anlauf, springt an der Mauer hoch und katapultiert sich gewaltsam in die Dornen. Wenn ihre Verfolger über die Straße kommen, dann sind sie ganz schnell hier. Sie kann es sich also nicht leisten, vorsichtig zu sein. Sondern muss außer Sicht sein, wenn sie um die Ecke biegen. Sie hört das Spalier unter ihrem Gewicht bersten und saugt sich Blut von einem ihrer ungeschützten Handgelenke. Merkt, dass ihr Kapuzen-Shirt sich verhakt und hängenbleibt. Hält nicht inne, um nachzudenken, sondern kämpft sich einfach durch die Spalierreste nach oben und schwingt sich auf die andere Seite der Mauer.
    Einen Moment lang hält das Fleece noch und sie hängt, mit dem Gesicht im Blattwerk, kurz frei in der dunklen Nachtluft, dann reißt es, und sie saust abwärts und kommt ungünstig mit dem Fuß auf. Sie verspürt einen stechenden Schmerz, irgendetwas tief drinnen reißt, und sie unterdrückt einen Schrei, als die Knochen gegeneinander mahlen. Dann ist sie frei und rennt hinkend weiter, Adrenalin schaltet den Schmerz aus, während es sie weitertreibt.
    Im Rennen sieht sie über die Schulter und verliert wertvolle Sekunden, als sie auf dem löchrigen Bürgersteig ausrutscht. Sie hat es jetzt fast zur Hälfte bis zur Tennyson geschafft. Sie muss unbedingt von dieser Straße herunter, muss aus dem Blickfeld ihrer Verfolger verschwinden. Sie humpelt zur Ecke der Marvell Street– ein vorläufiger Zufluchtsort, wo sie abtauchen kann.
    Diese Straße kennt sie gut. Sie nimmt sie immer, wenn sie zu Blessed geht: eine öde Strecke aus Garagen und Zubringerstraßen. Auf halbem Weg zwischen den Abzweigen, die zur Browning und zur Tennyson Street zurückführen, liegt ein Kinderspielplatz, der jedoch längst nicht mehr von Familien frequentiert wird, seit die Crack-Welle auch über den Südosten geschwappt ist. Zwar sind die Junkies weitergezogen, doch der Spielplatz– und was von seinen Rutschen, Schaukeln und zerfallenden Klettergerüsten übriggeblieben ist– wurde nie mehr wieder benutzt.
    Auf dem Asphalt hinter ihr in der Coleridge Close ist, schaurig nah, das Stampfen von Stiefeln zu hören. Viel länger kann sie auf diesem Fuß nicht mehr laufen. Kurz zögert sie, dann schlüpft sie durch das Spielplatztörchen und duckt sich unter eine Hecke.
    Überall Müll, herangeweht und weggeworfen. Mit spitzen Fingern kramt sie zwischen Bausteinen und Geißkraut herum. Sie hört die Schritte um die Ecke kommen und langsamer werden, als der dazugehörige Besitzer eine leere Straße vorfindet. Amber schiebt sich zentimeterweise weiter. Drüben hinter der Sandkiste steht ein altes Klettergerät aus Sperrholz, das wie ein Zug aussieht. Es ist von Feuchtigkeit völlig verzogen und gesplittert, einen Meter zwanzig hoch und mit schmutzigen Nesseln überwuchert. Sie weiß, dass sie über die Hecke sehen und sich vielleicht sogar auf den Platz wagen werden. Aber bestimmt würden sie niemals annehmen, dass sie blöd genug wäre, sich selbst so in die Falle zu begeben.

Weitere Kostenlose Bücher