Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
es immer auch Einzelne, die sich wichtig fühlen, weil man zu ihnen Kontakt aufnimmt, die das Gefühl haben, dass der Journalist ihre Bedeutung erkannt hat, die ihren direkten Nachbarn bislang entgangen ist. » Sicher. In Ordnung, natürlich tun Sie das«, sagt sie. » Also, ich habe mich gefragt–«
» Ich sag Ihnen, was ich denke«, sagt er. »Ich denke, Sie sollten alle miteinander abhauen. Keiner will Sie hier haben.«
» Oh, hören Sie mal«, protestiert Kirsty. » Wir müssen doch über Neuigkeiten berichten.«
» Ja«, sagt er, » was Sie so berichten nennen. Ich weiß, was Sie machen: Sie fragen keinen, der wirklich was weiß. Das wollen Sie auch gar nicht, stimmt’s? Sie wollen bloß mit ihrem höhnischen Londoner Grinsen auf die Provinz runterschauen. Uns ginge es prima, wenn Sie alle einfach abhauen und uns in Ruhe lassen würden.«
» Ich–« Sie betrachtet die Stoppeln auf seinen nachlässig rasierten Wangen, die trotzig zusammengekniffenen Lippen, die unbegründete reflexhafte Abneigung in seinem Blick – und kennt die Antwort. Aus diesem Kerl wird sie nichts Brauchbares rausbekommen. Nur die Sorte strukturloser Ablehnung, die lieber die Medien kritisiert als den Mann, der tatsächlich Menschen umbringt. » Okay«, sagt sie. » Trotzdem danke.«
» Sie dürfen mich nicht zitieren«, sagt er. » Ich hab Ihnen nicht die Erlaubnis dazu gegeben.«
» Ich kenne ja nicht mal Ihren Namen«, sagt sie. Und geht den Strand hinunter, bevor er das Zusammentreffen ausdehnen kann. Nichtsdestotrotz spürt sie, dass sein Blick sich in ihren Rücken bohrt, als sie zwischen dem Grillfest und dem Begrenzungszaun von Funnland weitergeht; eine Girlande aus gelbem Absperrungsband der Polizei markiert das Loch in dem kurzen Stück Drahtzaun hinter einem Stand für Eimer und Spaten. Von dieser Seite ähneln die Betonbefestigungsanlagen des Vergnügungsparks ein wenig einem Gefangenenlager. An der Stirnwand der Mauer zur windigen Straße hin, die jedermann scherzhaft » die Corniche« nennt, leuchten Reklametafeln und bunte Lichter.
Etwas abseits der großen Grillparty unterhalten sich mehrere Grüppchen junger Leute, schlafen ihren Kater aus und spielen in T-Shirts und Bermudashorts Frisbee. Ein Kamerateam läuft zwischen ihnen umher und filmt das gemeine Volk. Kirsty fragt sich, wie man nur so scharf darauf sein kann, ins Fernsehen zu kommen, dass man es sogar ohne Make-up tut.
» Klar, natürlich hab ich Angst«, hört sie eine junge Frau im Vorbeigehen sagen, » aber was soll ich denn machen? Ich krieg bloß eine Woche Urlaub. Da muss ich mich doch amüsieren, oder?«
» Sie werden also wieder nach Whitmouth kommen?«, fragt der Reporter.
» Wahrscheinlich nicht«, erwidert sie. » Ist schon ein bisschen Kacke hier, echt. Der Alk ist sauteuer und, haben Sie das gewusst, dieser Vergnügungspark«– sie deutet auf die massige Mauer von Funnland, wo die Polizei nun schon den zweiten Tag damit verbringt, jeden Zentimeter zwischen dem Zaun und dem Leichenfundort mit Kamelhaarbürsten zu durchkämmen– » der hat dicht, die ganze Zeit schon, seit wir da sind. Mitten in der Hochsaison!«
Sie sucht das Antalya Kebab House auf, wo das zweite Opfer, Keisha Brown, zuletzt gesehen wurde. Der Eigentümer ist Türke, redselig und unfreundlich.
» Wieso interessieren Sie sich jetzt auf einmal dafür?«, fragt er. » Wissen Sie was? Dasselbe ist schon letztes Jahr zwei Mal passiert. Zwei Mädchen im vorigen Jahr, genauso tot, aber das war Ihnen piepegal. Nicht ein Reporter, nicht eine Zeitung, abgesehen vom Whitmouth Guardian, keiner vom Fernsehen. Die waren damals unsichtbar. Genauso gut hätten die nie gelebt haben können. Aber jetzt … Jetzt haben Sie ein bisschen Glamour. Ihr haltet alle Ausschau nach einem Hannibal Lecter, und jetzt hat es plötzlich Bedeutung, oder nicht?«
» Guter Punkt«, sagt sie. In Großbritannien ereignen sich jeden Tag zwei Morde. Nur ein Drittel davon bringt es in den Zeitungen auf mehr als eine Kurzmeldung auf den hinteren Seiten. Man muss schon über herausragendes Format oder eine resolute Familie verfügen, damit der eigene Tod bei den Nachrichtenredakteuren durchgeht. » Aber jetzt bin ich hier. Ist doch zumindest eine Gelegenheit, es wiedergutzumachen, nicht?«
» Kaufen Sie was?«, fragt er barsch und funkelt sie aus unergründlich dunklen Augen an.
» Was ist denn gut?«
» Alles.«
» Dann nehme ich einen Döner und eine Cola, bitte.«
» Pommes?«, blafft er.
» Nein«,
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