Im Schatten der Lüge: Thriller (German Edition)
ist Jackies Chefin, daran erinnert er sich. Und außerdem Vic Cantrells– irgendwas. Schließlich will diese Zicke mit dem groben Gesicht doch wohl niemandem weismachen, dass sich ein Mann wie Vic wegen was anderem für sie interessiert als wegen dem, was er von ihr kriegen kann. Man muss sie sich bloß mal ansehen, wenn sie neben ihm steht– die ordinäre Blondierung, die Lederjacke, die mindestens zwanzig Jahre alt sein muss, dieses beschissene Muttermal mitten im Gesicht–, um zu kapieren, dass sie nicht zusammenpassen.
Und Jackie? Jetzt versteht er, zumindest halbwegs. Jackie ist schwach, habgierig, ein Feigling– aber die treibende Kraft ist Amber Scheißkuh Gordon.
Sein Blut hat sich in Eis verwandelt. Mit den Ellbogen bahnt er sich den Weg durch die Schlange vor dem DanceAttack und hört kaum die Protestrufe in seinem Kielwasser. Ich hasse sie, denkt er. Sie ist nichts wert. Keine Ahnung, warum ich jemals dachte, sie wär’s.
Die Mädels sind heute Abend in Scharen unterwegs: eine weitere Partynacht in Whitmouth. Blond und schwarz und neonrot, die Haare aufgetürmt, straffgezogen, verlängert und ergänzt. Sie wirbeln ihm unglaubhafte Nylonzöpfe ins Gesicht, pressen Primark-Taschen an strassbesetzte Bauchnäbel und lassen Kreditkarten zur sicheren Aufbewahrung tief in ihre gepolsterten BH s gleiten. Und wie üblich ist er unsichtbar. All diese Mädchen auf der Suche nach ein bisschen Nervenkitzel, aber nicht eine von ihnen würdigt ihn eines Blickes.
Wo ist sie? Wo zum Teufel steckt sie? Für wen verdammt hält sie sich?
Er verachtet sie, das weiß er jetzt. Sie ist nicht seine Chance auf Erlösung, sondern eine verweichlichte, raffgierige Schlampe. Keine Ahnung, wieso ich jemals dachte, sie wäre anders. Ich muss mal meinen Kopf untersuchen lassen.
Dafür wird sie bezahlen, denkt er, obwohl er unsicher ist, an welche » sie« er dabei denkt. Ich werde sie dafür bezahlen lassen.
Seine Muskeln schmerzen vom Adrenalin. Er ist zu aufgedreht, um nach Hause zu gehen, sich in diesem Mauergehege selbst einzusperren und auf dem zugemüllten Boden auf und ab zu tigern, während draußen die Party weitergeht. Schon an normalen Abenden fühlt er sich ziemlich isoliert, aber an einem Abend wie diesem spürt er, wird es ihn in den Wahnsinn treiben. Mit Unbehagen wird ihm bewusst, dass ihm seine Wut eine kraftlose, halbherzige Erektion beschert hat. Eigensinnig pulsiert sie beim Gehen gegen seine Hose, und er hat die in die Anorakärmel gesteckten Hände vor sich verschränkt, um es vor den Leuten zu verstecken– die ihn allerdings ebenso wenig beachten, wie sie sich fragen, was ihre Mütter wohl sagen würden, wenn sie sie jetzt sehen könnten. Seine Schläfen pochen vor Frustration, Zurückweisung, Zorn. Er kann nicht heim. Die Wände würden ihn nicht atmen lassen.
Er prüft den Inhalt seiner Taschen, findet fünfzehn Pfund und eine Handvoll Kleingeld. Nicht genug für irgendeinen der Nachtclubs– sogar das Stardust kostet heutzutage zwölf Pfund Eintritt und ein Glas Cola allein drei. Ich hol mir ein paar Pommes, denkt er, und nehme sie mit ans Kriegerdenkmal. Um diese Zeit am Abend ist es ruhig auf der Mare Street. Wenn ich dort lang genug bleibe, hat sich der Lärm vielleicht ein bisschen gelegt, bis ich heimkomme. Und wenn Tanqueray-Tina an ihrer gewohnten Stelle steht, könnte ich meinen Zehner gewinnbringend anlegen.
Am Death-Burger-Wagen kauft er sich eine Zervelatwurst– im Vergleich zu der schamlosen Schwellung der Wurst ist das mickrige Ding in seiner Hose der blanke Hohn– und Pommes, schnappt sich einen Pikser, einen kleinen Teufelszinken aus Sperrholz, sowie ein paar Servietten und überquert zügig die Corniche.
Auf der Mare Street ist es, genau wie er erwartet hat, fast still, der Lärm der Menschenmassen hinter ihm ebbt ab und klingt jetzt nur noch wie die Hintergrundmusik eines Films. Seit das Stadtzentrum in eine Fußgängerzone verwandelt wurde, führt die Straße praktisch nirgendwohin, und kein Mensch kommt mehr hierher, sobald die Geschäfte geschlossen haben. Er trödelt den Bürgersteig entlang, spürt die Wärme, die von seinem Essen in dem Styroporbehälter ausgeht, und biegt, gepackt vom plötzlichen Verlangen nach dem salzig-pappigen Gefühl frittierter Kartoffeln im Mund, in die Fore Street ab. Am alten Pferdetrog bleibt er stehen und zieht die Tüte an einer Ecke auf. Ganz öffnen will er sie noch nicht; er hasst den Anblick von Leuten, die im Gehen essen. Er muss sie
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