Im Schatten der Mangroven (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
vollkommen. Er wird sexuell erregt von diesen Machtgefühlen, indem er Angst und Schrecken bei einer Frau erzeugt, indem er sie mit seinem Körper förmlich erdrückt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat er Eiswasser statt Blut in seinen Adern.«
Ich nickte und schob ein paar Büroklammern auf meiner Schreibtischunterlage herum.
»Scheint keinen großen Eindruck auf Sie zu machen«, sagte sie.
»Was schließen Sie aus der Tatsache, daß er ihr Gesicht mit ihrer Bluse bedeckt hat?« sagte ich.
»Dem Opfer die Augen zu verbinden erniedrigt es und vergrößert das Entsetzen noch.«
»Yeah, schätze, das tut es.«
»Aber auf das psychologische Profil scheinen Sie nicht viel zu geben.«
»Ich hab’s nicht so sehr mit der Psychoanalyse. Ich gehöre zu einer Zwölf-Schritte-Selbsthilfegruppe, die von der Annahme ausgeht, daß der Großteil des Verhaltens, das wir als schlecht oder böse bezeichnen, durch etwas ausgelöst wird, das wir eine selbstzentrierte Angst nennen. Ich glaube, daß unser Mann Angst vor Cherry LeBlanc hatte. Ich glaube, er konnte ihr schlichtweg nicht in die Augen sehen, während er sie vergewaltigte.«
Sie griff nach einer Akte, die sie auf der Ecke meines Schreibtisches liegengelassen hatte.
»Wissen Sie, wie viele ähnliche ungeklärte Frauenmorde in Louisiana in den letzten fünfundzwanzig Jahren begangen wurden?«
»Ich habe gestern das Formular mit der entsprechenden Nachfrage nach Baton Rouge geschickt.«
»Was den Zugriff auf Quellen angeht, sind wir Ihnen gegenüber unfairerweise ziemlich im Vorteil«, sagte sie. Sie blätterte durch die Computerausdrucke, die oben auf dem Ordner zusammengeheftet waren. Hinter ihr sah ich zwei-Deputies in Uniform, die mich durch die Glasscheibe der Bürotrennwand angrinsten.
»Entschuldigen Sie mich einen Augenblick«, sagte ich, stand auf, schloß die Tür und setzte mich wieder.
»Sind das alles Komiker hier?« sagte sie. »Irgendwie scheine ich bei vielen Leuten ein Lächeln hervorzurufen.«
»Manche von denen da haben selten mit der zivilisierten Welt zu tun.«
»Wie auch immer, wenn man es auf die letzten zehn Jahre beschränkt, sind da mindestens siebzehn noch offene Mordfälle, deren Opfer alle Frauen sind und die gewisse Gemeinsamkeiten mit dem Mord an Cherry LeBlanc aufweisen. Wollen Sie mal reinschauen?« sagte sie und reichte mir die Mappe. »Ich muß noch mal runter ins Büro des Sheriffs und mir meine Schlüssel holen. Ich bin gleich wieder da.«
Es war eine finstere Lektüre. Die Sprache ließ nichts im Unklaren. Sie war einfallslos, platt, auf eine brutale Art beiläufig und läppisch, wie sie das Potential zur Bestialität unter Menschen darstellte, wie eine banale Umsetzung unserer schlimmsten Alpträume: Schlitzermorde, für gewöhnlich an Prostituierten; die Strangulation von Hausfrauen, die am hellichten Tag auf den Parkplätzen von Supermärkten und Kegelbahnen entführt worden waren; Morde am Straßenrand an Frauen, deren Wagen nachts eine Panne gehabt hatten; Prostituierte, die wahrscheinlich von ihren Zuhältern in Brand gesteckt worden waren; zwei schwarze Frauen, die man mit Stacheldraht an den Motorblock eines Autos gefesselt und ertränkt hatte.
In fast allen Fällen kam noch Vergewaltigung, vaginal wie anal, oder eine Form von Folter dazu. Und was mir am meisten zu schaffen machte, war die Tatsache, daß die Täter mit großer Wahrscheinlichkeit immer noch da draußen frei rumliefen, wenn sie nicht wegen anderer Verbrechen aus dem Verkehr gezogen worden waren; wenige von ihnen hatten ihre Opfer gekannt, und als Konsequenz davon würden wenige von ihnen jemals gefaßt werden.
Dann bemerkte ich, daß Rosie Gomez sechs Fälle am Rand markiert hatte, die mehr Gemeinsamkeiten mit dem Tod von Cherry LeBlanc aufwiesen als die anderen: drei von zu Hause weggelaufene Teenager, die man in einem Waldstück in der Nähe einer Überlandstraße vergraben gefunden hatte; ein Highschool-Mädchen, das bei einer Angelhütte in Lake Chicot vergewaltigt, an einen Baum gebunden und aus nächster Entfernung erschossen worden war; zwei Kellnerinnen, die ohne Erklärung von ihrer Arbeitsstelle verschwunden und wenige Stunden später zu Tode geprügelt in Bewässerungsgräben abgeladen worden waren.
Die Leichen wiesen alle, auf die eine oder andere Art, Spuren von Fesselungen auf. Sie waren alle jung gewesen, entstammten alle der Unterschicht und waren vielleicht völlig überrascht gewesen, als ein degenerierter Wahnsinniger gewaltsam und
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