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Im Schatten der Mitternachtssonne

Im Schatten der Mitternachtssonne

Titel: Im Schatten der Mitternachtssonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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liegt bei dir, Mädchen. Ich biete dir das Leben des Kindes gegen die Lust des elenden Wikingers.« Er blickte sie forschend an. »Hast du dich heute abend von ihm besteigen lassen? Hat er dir deine Jungfernschaft geraubt?«
    »Schweig, du Schmutzfink! Du bist schlimmer als dein Sohn!«
    »Deine Lust gegen das Leben deiner Schwester. Du bist wie deine Mutter, die Hure. Du liebst deine kleine Schwester gar nicht. Du bist nichts als eine Heuchlerin.«
    »Hör auf, Olav. Du wirst Lotti nicht töten, weil du nicht sterben willst. Ich kenne dich. Alle Händler hier in York tuscheln hinter deinem Rücken und nennen dich Olav den Eitlen. Du stolzierst herum wie ein Gockel und prahlst mit deinem Verhandlungsgeschick, dabei betrügst und hintergehst du alle Menschen. Und du schmückst deinen welken Leib mit Gold und Edelsteinen. Sieh dich an, herausgeputzt wie König Guthrum selbst! Doch selbst er, ein alter Mann wie du, stolziert nicht herum wie ein eitler aufgeblasener Hahn!«
    »Halt den Mund, Zarabeth!« brüllte er bebend vor Zorn.
    »Nein, ich bin noch nicht fertig. Erst werde ich dir die Wahrheit sagen, du schmieriger, alter Mann! Ich bleibe nicht hier und lasse geschehen, daß du zu mir ins Bett kriechst und mich belästigst. Ich werde nicht die liebevolle Stieftochter spielen, da ich weiß, was wirklich in deinem Kopf herumspukt. Ich ertrage deinen Haß gegen Lotti nicht länger, deine Verachtung, deine Vernachlässigung. Ich höre mir deine Lügen über meine Mutter nicht länger an. Du hast sie nicht verdient! Und jetzt sag mir, wo du Lotti versteckt hast, und ich werde sie holen und mit ihr fortgehen. Ich will dein häßliches Gesicht nie wieder sehen.«
    Olav schwieg lange. Dann hob er die Hand, wie zum Schwur. Seine Stimme war ruhig und eiskalt:
    »Das Idiotenkind wird ganz langsam sterben, und ich werde mein Vergnügen daran haben. Das schwöre ich bei Odin, unserem Allvater, der an den Weltenbaum gefesselt wurde, und ich schwöre es auch bei dem christlichen Gott.«
    Sie spürte, wie der Boden unter ihren Füßen wich. Sie glaubte ihm. Das war keine Prahlerei. Er sprach sehr ruhig — wie ein Wahnsinniger in einer ausweglosen Lage.
    Ja, sie glaubte ihm. Sie kannte ihn. Er würde Lotti töten lassen oder sie eigenhändig umbringen. Sie sah, wie Keith das Kind mit einer Hand erwürgte, den zappelnden, kleinen Körper hochhob und das Leben aus ihm herauspreßte mit einer seiner großen Hände. Sie sah, wie er das Kind in eine Grube warf, als sei es Abfall. Sie sah, wie er sich pfeifend die Hände am Hemd abwischte. Nein, nicht Keith, dachte sie, nicht der sanfte, schwache Keith. Toki, seine Frau, sie würde Lotti umbringen.
    Zarabeth war nicht sehr gläubig. Deshalb betete sie jetzt zu Odin, zu Thor und schließlich zum Gott der Christen. Was konnte sie tun?
    »Geh jetzt zu Bett, Zarabeth. Du hast viel nachzudenken. Ich erwarte deine Antwort morgen früh. Versuche nicht, mich in der Nacht umzubringen, denn dann wird das Kind kurz nach mir sterben, und du hast nichts gewonnen. Du hast dir nur deinen eigenen Tod damit eingehandelt, denn jeder wird wissen, daß du mich getötet hast.«
    Sie zog sich langsam hinter das Bärenfell zurück, das ihre und Lottis Schlafkammer vom übrigen Raum abgrenzte. Sie blickte auf das Kastenbett, öffnete den breiten Ledergürtel und zog das Wollgewand aus. In ihrem Leinenunterhemd kroch sie zwischen zwei Wolldecken. Dort lag sie mit großen, brennenden Augen und starrte in die Finsternis.
    Gegen Morgengrauen wußte sie, daß sie Lottis Leben nicht für ihr eigens Glück opfern durfte, selbst wenn sie Olav töten würde. Und dann strömten ihr die Tränen haltlos übers Gesicht. Einige Stunden später, als die Sonne über dem Hafen aufgegangen war, keimte erneut Hoffnung in ihr.
    Zarabeth zwang sich zu einem Lächeln. Ihr Herz schlug so laut, daß sie fürchtete, er könne es hören. Sie mußte überzeugend wirken, durfte keinen Zweifel bei ihm offen lassen. Sie mußte Lotti retten. Sie betete zu Odin, daß Magnus ihr später einmal ihre Lügen vergeben würde. Sie betete zu ihrem eigenen Christengott, daß Magnus ihr vergeben möge, wenn er herausfand, wozu sie gezwungen worden war.
    Magnus sah ihr Lächeln, dieses geisterhafte Lächeln und sagte ohne Einleitung: »Was bedrückt dich, Zarabeth? Ist dir kalt? Es liegt Regen in der Luft.«
    Ob ihr kalt war? Es war zum Lachen. Sie stand mit dem Rücken zum Brunnen, wohl wissend, daß Olav sie von der nahegelegenen Werkstatt des

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