Im Schatten Der Wälder: Roman
Zimmer.
Es roch nach Sex, abgestandenem Rauch und billigem Reinigungsmittel. Er hatte gelernt, solche Ärgernisse zu ignorieren,
ebenso wie die kaum zu überhörenden Stöhn- und Grunzlaute aus den Zimmern nebenan.
Er schaltete den Fernseher ein und zappte so lange, bis er einen lokalen Nachrichtensender fand.
Zuerst unterhielt er sich, indem er Katis Portemonnaie durchsuchte. Sie trug fast zweihundert Dollar in bar bei sich – Bestechungsgelder?, überlegte er. Das Geld kam ihm gerade recht. Wie gut, dass er den Opfertyp geändert hatte. Die Studentinnen hatten kaum mehr als fünf oder zehn Dollar bei sich.
Das Passwort für ihren Computer fand er hinter ihrem Führerschein. Er legte es für später beiseite.
Er sortierte aus, was er aus ihrer Tasche behalten und was er wegwerfen wollte, und kaute dabei die M & Ms, die in einer Innentasche steckten.
Fotos hatte sie keine dabei, nein, dazu war seine Kati zu arbeitsam. Aber sie besaß einen Stadtplan von Seattle und eine Karte von Orcas.
Auf dieser Karte hatte sie einige Wege von der Fähre weg markiert. Er erkannte die Strecke zu Fiona, aber die anderen konnte er nicht zuordnen. Wenn seine Zeit es zuließ, würde er sie ausprobieren.
Sie hatte mehrere Kugelschreiber und gespitzte Bleistifte, einen kleinen Würfel Post-its und eine Flasche Wasser dabei.
Ihre Pfefferminz-Dragees behielt er ebenso wie ein kleines Päckchen feuchte Tücher und Papiertaschentücher, aber ihre Ausweise und Kreditkarten würde er später zerschneiden und während der Fahrt wegwerfen.
Mit ihrem Kleingeld zog er sich ein Sprite und eine Tüte Kartoffelchips aus dem Automaten vor dem Zimmer.
Schließlich fuhr er ihren Laptop hoch. Wie bei ihrem Handy ging es in den meisten E-Mails um die Arbeit. Er, Perry und Fiona waren zwar nicht ihre einzigen Stories, aber
zweifellos am wichtigsten für sie. Unermüdlich suchte sie sich Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen.
Sie machte es ganz gut, dachte er. Sie grub und grub, sammelte Kommentare und Details aus Perrys und Fionas Vergangenheit, von früheren und jetzigen Opfern.
Sie hatte Dateien voll mit Informationen über Fionas Suchhunde-Einheit, über die anderen Mitglieder, über ihre Hundeschule, ihre Stiefmutter, den toten Vater, den toten Liebhaber. Den jetzigen Liebhaber.
Gründlichkeit schätzte er sehr.
Und ihm wurde klar, dass sie viel mehr Material gesammelt hatte, als ein Reporter für eine Artikelserie jemals brauchen würde.
»Du schreibst ein Buch«, murmelte er. »Du schreibst ein Buch, was, Kati?«
Er schob eine der zwei Disketten, die er in ihrem Koffer gefunden hatte, in das Laufwerk. Statt des erwarteten Buches stieß er auf die Datei mit ihrem nächsten Artikel, der morgen erscheinen würde.
Er las ihn zweimal und war so vertieft, dass er gar nicht mitbekam, als das Paar nebenan zu ficken begann.
Der Verrat – und er zweifelte nicht daran, dass Perry ihn verraten hatte – schmerzte wie ein Peitschenhieb, der ihm die Luft raubte. Er stand auf und ging mit geballten Fäusten in dem kleinen Zimmer auf und ab.
Sein Lehrer, sein Mentor, dem er sein jetziges Leben verdankte, hatte sich gegen ihn gewendet, und das konnte – nein, es würde – sein Ende beschleunigen.
Er überlegte, ob er fliehen sollte, die Pläne aufgeben, die er so sorgfältig geschmiedet hatte. Vielleicht sollte er nach Osten fahren. Die Reporterin konnte er immer noch töten, wenn er das Gebiet verließ, das die Polizei sicher als seine Jagdgründe bezeichnete.
Er konnte sein Aussehen und seine Identität wieder verändern. Er konnte alles verändern – das Auto, die Nummernschilder, und dann …
Nein, dachte er. Sollte er wieder ein Nichts sein? Sich wieder hinter einer Maske verstecken? Nein, nein, das konnte er nicht, er wollte nicht mehr diese jämmerliche Hülle sein.
Mit geschlossenen Augen blieb er stehen und zwang sich, ruhiger zu atmen. Vielleicht war es richtig und unvermeidlich, dass ein Vater sein Kind zerstörte. Vielleicht schloss sich dadurch der Kreis, und die Reise kam zu einem bitteren Ende.
Und dass es enden würde, hatte er immer gewusst. Dieses neue Leben war doch nur ein Übergang. Aber er hatte gehofft, hatte geglaubt , mehr Zeit zu haben, denn dann hätte er Perry in jeder Hinsicht übertroffen.
Nein, er würde jetzt nicht umkehren. Er würde sich nicht verstecken wie eine Ratte im Loch. Er würde vorwärtsgehen, wie geplant.
Leb oder stirb, dachte er. Aber er würde nie, nie wieder einfach nur
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