Im Schatten des Fürsten
kam, bis Fidelias schließlich die Eisenstangen über der Öffnung erkennen konnte.
Unter diesen Stangen hielten sie an. Fidelias zählte die dritte von rechts ab, drehte sie einmal und zerrte kräftig daran. Die
Stange löste sich aus der Verankerung. Fidelias zog sich durch die Lücke nach oben und bückte sich sofort, um der Fürstin seine Hand zu reichen und ihr heraufzuhelfen.
Sie befanden sich in einem Gang im Inneren des Palastes, einem Dienstbotengang zwischen den Küchen und den Festsälen und den fürstlichen Gemächern. Die Alarmglocken wurden geläutet, und Fidelias wusste, der Lärm dieser Glocken war überall im Palast zu hören. Um diese nachtschlafende Zeit war der Dienstbotengang vermutlich verlassen, trotzdem konnte plötzlich eine Wache auftauchen, die den Tunnel, vom Alarm aufgeschreckt, als Abkürzung benutzte. Und nicht nur das; schon in einer guten Stunde würden sich die ersten Diener zur Küche aufmachen, um mit der Zubereitung des Frühstücks zu beginnen. Je schneller sie hier verschwanden, desto besser.
»Ich halte es immer noch für unklug«, murmelte Fidelias. Er spannte die Sehne seines kurzen, schweren Bogens ein und legte einen Pfeil auf, ehe er sich vergewisserte, dass die übrigen griffbereit waren. »Zu riskieren, mit mir gesehen zu werden, ist einfach töricht.«
Die Fürstin schnalzte mit der Zunge und tat seine Bemerkung mit einem Wink ab. »Du musst mich nur mitten ins Getümmel führen, dann kannst du verschwinden«, sagte sie. Plötzlich zuckte sie zusammen und griff sich an die Stirn.
»Alles in Ordnung?«, fragte Fidelias.
»Vom Windwirken bekomme ich manchmal Kopfschmerzen«, antwortete sie. »Ich musste die Luft vom Fluss durch die Tiefen heranholen, damit sie uns heraufträgt. Sie war ausgesprochen schwer.«
»Luft?«, fragte Fidelias. »Schwer?«
»Wenn man nur genug davon zu bewegen versucht, mein lieber Spion, wird sie schwer, glaub mir.« Sie nahm die Hand herunter und blickte sich stirnrunzelnd um. »Ein Dienstbotengang?«
»Jawohl«, erwiderte Fidelias und ging los. »Wir sind ganz in der Nähe der fürstlichen Gemächer und der Treppe, die hinunter in
die Meditationskammer führt. In diesem Teil der Tiefen gibt es mehrere Wege nach unten.«
Fürstin Aquitania nickte und folgte ihm. Sie gelangten zu einer Kreuzung, wo sie eine Richtung einschlagen konnten, die es ihnen erlaubte, einem Wachposten auszuweichen - obwohl sie annahmen, dass die gesamte Fürstliche Wache dem Ruf der Alarmglocken gefolgt war. Trotzdem galt es, kein vermeidbares Risiko einzugehen. Fidelias wählte die Tür zu einem luxuriös ausgestatteten Empfangszimmer, das düster und verlassen dalag und nicht mehr benutzt wurde, seit Gaius’ erste Gemahlin vor gut zwanzig Jahren gestorben war. Hierher kam niemand mehr, es sei denn, um Staub zu wischen und sauber zu machen. In einer mit Eiche verkleideten Wand schwang eine Geheimtür auf.
»Wunderbar«, murmelte die Fürstin. »Wohin führt dieser Gang?«
»Zu den ehemaligen Gemächern der Fürstin Annalisa«, antwortete Fidelias. »Dieses Zimmer hier benutzte Gaius Pentius für seine Arbeit.«
»Mit einer Verbindung zu den Räumlichkeiten seiner Frau, hm?« Fürstin Aquitania schüttelte den Kopf und lächelte. »Palast hin oder her: Wenn man ein wenig an der Oberfläche kratzt, unterscheiden sie sich nicht von den gewöhnlichen Menschen.«
»Wohl wahr.« Sie schlossen die Geheimtür hinter sich und betraten ein großes Schlafzimmer, in dessen Mitte ein riesiges Bett auf einem Podest thronte. Auch dieser Raum wirkte unbenutzt, und Fidelias ging zur Tür, öffnete sie einen Spalt und spähte hinaus auf den Korridor.
Nun hörten sie den Lärm und Kampfgeschrei. Kaum zehn Meter entfernt hatte sich die Fürstliche Wache vor dem Wachraum an der Treppe zur Meditationskammer des Ersten Fürsten versammelt. Fidelias schnappte nach Luft. Die Metalltür war mit unvorstellbarer Gewalt aufgebrochen worden. In diesem Augenblick stürmte gerade ein Mann der Wache mit gezogenem Schwert
durch die Tür, verschwand und taumelte einen Augenblick später rückwärts wieder heraus, wobei er sich eine große Bauchwunde mit den Händen zuhielt. Man schleppte ihn zur Seite, wo bereits andere Verwundete von einem erschöpft wirkenden Heiler versorgt wurden, der sich bemühte, die übelsten Verletzungen sofort zu schließen, damit die Männer nicht starben, ehe man sie eingehender behandeln konnte. Die anderen Angehörigen der Wache versuchten, den Eingang
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