Im Schatten des Galgens Kommiss
persönlichen und finanziellen Vorteil?'
Während Kommissar Morry nach der Lösung dieser Fragen sann, glitt sein Blick unauffällig über den jungen Whitmen. ,War er es vielleicht, der nicht früh genug Chef der riesigen Whitmen-Werke werden konnte? War er der Urheber dieser Verbrechen?'
So sehr Kommissar Morry diese Fragen auch zu verneinen versuchte, eines war nicht von der Hand zu weisen: Gründe wären für Bud Whitmen genügend vorhanden, um diese Taten zur Ausführung gebracht zu haben . . . Aber genauso gut war dann Sheila Longden, die Pflegetochter des Ermordeten, verdächtig.
Noch ein weiterer Gedanken stieg in Kommissar Morry auf. Und dieser veranlaßte ihn, das vor ihm sitzende Paar noch schärfer als zuvor zu beobachten. Doch scheinbar war dieser Gedanke zu absurd, denn keine Anzeichen deuteten darauf hin, daß sich diese beiden jungen Menschen mehr als nur Bruder und Schwester waren. Im dritten Falle konnten sie gemeinsam diese Mordpläne geschmiedet und zur Ausführung gebracht haben . . . Zounds, wie weit sich diese Verdachtsmomente erhärten sollten, würde die Zukunft schon bringen.
Alles zu seiner Zeit, sagte sich Kommissar Morry — und hütete sich, schon jetzt voreilige Schlüsse zu ziehen.
Nur über eines war er sich im klaren, — eine genaueste Durchleuchtung dieser beiden jungen Menschen war unumgänglich. Well, es war sogar das Gebot der Stunde . . .
Kein Mensch hätte im Gesicht des Kommissars lesen können, welche Gedanken sich hin-ter seiner Stirn verbargen, als er sich nun mit harmloser Stimme an den jungen Whitmen wandte: „Mister Whitmen", nutzte er eine kurze Unterbrechung des Gespräches der drei Personen vor ihm aus, „können Sie mir sagen, ob Ihr Vater irgendwelche Feinde hatte. Ich meine natürlich nur solche, die Ihren Vater so haßten, daß sie nicht vor einem Mord zurückschrecken würden?"
Einen Augenblick sah Bud Whitmen den Kommissar verständnislos an. Dann meinte er grimmig: „Wer auf dieser Welt hat keine Feinde. Haben Sie keine? Auch ich werde wohl einige haben — und mein Vater hatte bestimmt auch welche."
Obwohl Kommissar Morry sehr gut die Anzüglichkeit in den Worten Bud Whitmens erkannt hatte, blieb er dennoch freundlich. „Nun, und welches waren die Feinde Ihres Vaters?" wollte er, hartnäckig wie er nun einmal war, von dem Sohn wissen.
Ein paarmal atmete der Gefragte hörbar auf. Wie unter einem körperlichen Schmerz zog sich sein Mund zusammen, und knirschend stieß er hervor: „Woher soll ich das wissen, Kommissar. Und überhaupt finde ich es rücksichtslos von Ihnen, daß Sie kaum drei Stunden nach dem Tode meines Vaters hier hereinplatzen, und uns mit Fragen traktieren, die wir Ihnen doch nicht beantworten können."
Bud Whitmen hatte noch einige weitere spitze Bemerkungen auf der Zunge. Doch Sheila Longden mischte sich in diesem Augenblick mit fester Stimme ein:
„Bud, was soll das", rief sie ihren Stiefbruder zur Besinnung. „Der Kommissar tut nur seine Pflicht. Und ich glaube, wir sollten ihm dankbar dafür sein, daß er nichts unversucht läßt, um den Mörder deines Vaters der verdienten Strafe zuzuführen. Oder willst du etwa, daß der Mord an deinem Vater ungesühnt bleibt."
„Well, well! Auch ich will den Mord an meinem Vater gerächt wissen", stöhnte der junge Whitmen verzweifelt auf — und verbarg sein Gesicht in den Händen.
„Doch in diesem Augenblick möchte ich nichts, als in Ruhe gelassen zu werden. Könnt ihr denn nicht verstehen, daß ich . . . daß ich noch nicht begreifen kann, was geschehen ist."
Es war eine herzergreifende Szene, die sich da vor den Augen der Yardmen zwischen dem jungen Whitmen und dem Mädchen abspielte. Lange hielt es Kommissar Morry nicht mehr auf „Whitmen-Castle". Als er erkannte, daß er mit dem weichen Sprößling im Augenblick nicht mehr weiter kam, erhob er sich und entschloß sich, dieses Gespräch an einem anderen Ort zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen.
Bis zur Tür geleitete Sheila Longden die beiden Beamten. Hier sah sie den Kommissar mit feuchten Augen an und meinte: „Bitte, entschuldigen Sie das Benehmen Buds. Er kann nun mal nicht begreifen, daß das Leben seines Vaters ein derartiges Ende genommen hat. Wenn er sich wieder beruhigt hat, werde ich . . .“
„Schon gut, Miß Longden", winkte Kommissar Morry freundlich ab. „Ich werde später noch einmal wiederkommen!"
Von nun an hatte es Kommissar Morry plötzlich sehr eilig. Kaum daß er den Wagen bestiegen hatte,
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