Im Schatten des Klosters - Historischer Roman
das Geld ein, sortierte einige Münzen wieder zurück auf den Tisch, zuckte mit den Schultern und sagte: »Kauf dir einen Becher auf meine Rechnung, Herr Ritter.« Dann verließ er das Lokal und hatte es nicht einmal eilig damit, der Bastard.
Jörg starrte auf das Geld. Die Haarlocke brannte in seiner Faust. Er spürte, wie Leute am Nachbartisch ihn neugierig musterten. Plötzlich hielt er es nicht mehr aus. Er stand ruckartig auf und drängte sich zu einem freien Platz neben den Krakeelern am Kamin – alles war besser, als von den Gaffern angestarrt zu werden und seinerseits das Almosen anzustarren, das auf dem Tisch lag und höhnisch zu blinken schien: Nimm mich, nimm mich doch … Bettler!
Die Krakeeler wandten sich Jörg zu, musterten ihn von oben bis unten, kamen zu dem Schluss, dass man ja nicht unbedingt mit jedem eine Fehde beginnen musste, und begaben sich wieder auf die Suche nach Objekten, die nicht darum zu betteln schienen, sich mit ihrem Besitzer anzulegen … nur eine dumme Bemerkung … ein schiefer Blick nur, o bitte … nein, es gab in der Schänke genügend andere, die kleiner waren … Jörg sah ihnen kurze Zeit zu, wünschte sich tatsächlich, sie mögen mit ihm anbandeln, und vergaß sie schließlich. Er öffnete die Faust und drehte die Haarlocke mit seinem dicken Zeigefinger hin und her. Sie fühlte sich spröde an, wie ein dürres Büschel vom Gras des letztes Jahres. Er schnupperte daran: ein vager Metallgeruch vom Innern des Medaillons. Er erinnerte sich an den Duft von Olivenöl, Lavendel und dem Schweiß einer wilden Jagd zu Fuß durch den Obstgarten … er hatte sie erwischt, und sie waren beide gestürzt und lachend übereinander gekugelt, bis der Stamm eines Obstbaumes sie aufhielt. Sie lag auf ihm, und ihr Haar hatte sich gelöst und hüllte sein Gesicht ein … er schloss die Augen, wie er sie damals geschlossen hatte, halb betäubt von ihrem süßen Duft … ihr Atem auf seinen Lippen … und dann der Ruck, mit dem sie in die Höhe fuhr, das Erschrecken, das ihre leuchtenden Augen stumpf machte … »Verzeih mir, verzeih mir!«, und sie sprang auf und rannte mit fliegendem Kleid davon. »Es gibt nichts zu verzeihen!«, wollte er ihr hinterherrufen, »Ich liebe dich, ich werde dich immer lieben!«, doch seine Kehle war wie zugeschnürt, und er brachte keinen Ton heraus, und es war auch besser so … und die ganze Zeit war der Duft ihres Haars um ihn und versengte sein Herz.
Das Gelächter der Kerle neben ihm riss Jörg aus der Erinnerung. Bevor er den Besitz seines Herrn verließ, hatte er es ihr noch gesagt: Ich liebe dich, ich werde dich immer lieben … immerhin hatte er sie so dazu überreden können, ihm die Haarlocke zu geben. Die einen bekamen ein Büschel Haare, die anderen den Rest. Und wem hatte sie ihr Herz gegeben? Jörg hatte in all den Jahren versucht, nicht genauer darüber nachzudenken, denn er ahnte, dass die Antwort auf diese Frage sein eigenes Herz endgültig abgedrückt hätte. Was war die Liebe schon wert, wenn es darum ging, den Besitz zusammenzuhalten, Allianzen zu schmieden, das Vermögen zu mehren? Ein Fliegenschiss im Wind war die Liebe.
Jörg schloss die Faust um die Haarlocke und blickte nachdenklich darauf. Fäuste wie Schinken. Er hatte noch nie gut die Laute spielen können und konnte es jetzt vermutlich gar nicht mehr. Die meisten bekamen einen Bauch vom Fressen und Saufen und ein lahmes Kreuz von jeder Bewegung. Was konnte Jörg dafür, wenn Fressen und Saufen und Sich-Bewegen bei ihm nur dazu führten, dass seine Schultern noch breiter, seine Arme noch muskulöser und seine Gestalt noch athletischer wurde … und was hatte es ihm genutzt im Leben? Wenn er eine feiste Plauze vor sich her getragen und ein Gesicht gehabt hätte wie eine Mastsau, wäre er auch nicht weiter unten gewesen als jetzt.
Plötzlich wusste er, was er tun musste. Er öffnete die Faust wieder, hielt sich die Locke vors Gesicht, schloss die Augen und blies darauf. Das kleine dürre Büschel Haare wirbelte auf, segelte über das Feuer, wurde von der heißen Luft nach oben getragen, taumelte wieder herunter, fing Feuer, flammte auf, stürzte wie eine kleine Sternschnuppe in die Glut und war nicht mehr. Das Werk von Sekundenbruchteilen. Jörg starrte wie betäubt in die Flammen und wünschte sich, er hätte es nicht getan.
Nach einer Weile stand er auf, ging zu seinem alten Sitzplatz zurück, versuchte sich einzureden, dass es ein Wink des Schicksals war, dass die Münzen noch
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